Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
umklammerte Toms warme Hand, während mir die meine wie ein Eisblock vorkam.
Wir durchschritten das offenstehende gusseiserne Tor.
Nebelschwaden krochen zwischen den verwitterten Grabsteinen hindurch.
Wir erreichten den Teil des Friedhofs, der von der Polizei mit Markierungsbändern abgesperrt worden war. Zahlreiche Grabsteine waren in diesem Teil umgestürzt. Ich ließ den Blick schweifen...
An manchen Stellen war der feuchte, tiefe Rasen aufgewühlt. Löcher gähnten uns entgegen wie frisch ausgehobene Gräber...
Und mir schien auch, dass die Zahl der umgestoßenen Grabsteine höher war.
"So sah es hier nicht aus, als ich zuletzt hier war", murmelte ich.
"Du meinst, es war noch einmal jemand hier?", meinte Tom.
Ich deutete auf eine Gruppe umgestürzter Grabsteine. Die Erde darunter war zerwühlt. "Siehst du das?"
"Ja."
"Es ist außerhalb des Areals, das die Polizei markiert hat. Die Beamten haben doch Augen im Kopf..."
Tom nickte.
"Ja, das ist merkwürdig..."
"Außerdem sieht es hier aus, als wäre NACH der Untersuchung durch die Polizei noch ein Bulldozer hier gewesen..."
Wir gingen weiter.
Ein stöhnender Laut ließ uns zusammenzucken. Wir sahen uns an und jeder wusste binnen eines Sekundenbruchteils die Gedanken des anderen. Was war das für ein Laut gewesen? Ein Straßengeräusch von der nahen Oxton Street?
Nein, dachte ich.
ES lauert hier irgendwo und beobachtet uns... Die ganze Zeit schon...
Ich wandte hektisch den Kopf.
Aber es war nirgends jemand zu sehen.
Plötzlich vollführte Tom zwei Schritte seitwärts. Er trat neben einen der wenigen Grabsteine, die noch an ihrem Ort standen. Allerdings war der Stein mit zahlreichen Symbolen bemalt worden.
Tom bückte sich und hob etwas auf.
Er hob es hoch.
Ich starrte ihn entgeistert an.
Es handelte sich um den typischen Bobby-Helm eines Londoner Polizeibeamten.
"Ich glaube kaum, dass der Besitzer dieser Kopfbedeckung sie freiwillig abgegeben hat", murmelte Tom düster.
Ich wollte etwas sagen, aber das Grauen kroch mir den Rücken hinauf, schnürte mir dann den Hals zu.
Ich konnte keinen einzigen Ton herausbringen.
Mein Gott, was ist hier nur geschehen?
Ich wirbelte herum, als ich wieder den unheimlichen Hunger jenes fremden Bewusstseins spürte, dessen Ursprung sich noch in unmittelbarer Nähe befinden musste... Versuche deine Gabe gezielter einzusetzen... Versuche zu erspüren, was da lauert...
Es war Tante Lizzys Stimme, die ich in meinem Inneren hörte. Sie war es schließlich gewesen, die mich überhaupt auf meine leichte übersinnliche Begabung hingewiesen und mit der Tatsache konfrontiert hatte, dass ich versuchen musste, diese Kraft zu kontrollieren.
Versuche es...
Ich schloss einen Moment lang die Augen.
Und plötzlich wusste ich, dass die Kreatur, nach der ich meine geistigen Fühler zaghaft ausstreckte, nicht allein war...
*
Der Schrei einer Krähe durchschnitt erneut die geradezu unheimliche Stille, die über dem nebelverhangenen Friedhof lag. Wie eine grauweiße Wand umgab der Nebel diesen Ort, so dass sich unwillkürlich das Gefühl einstellte, sich an einem Ort jenseits von Raum und Zeit zu befinden.
Ich drehte mich herum und schrie.
Das Blut drohte mir in den Adern zu gefrieren, als ich jene Szene des Grauens vor mir sah...
Die Krähe schrie ein letztes Mal.
Eine dunkle Gestalt hob sich undeutlich aus dem Nebel ab, lehnte sich gegen einen der mächtigen, eigenartig verwachsenen Bäume, die unter den herrschenden Sichtverhältnissen beinahe wie die aus der Erde herausragenden Tentakel eines gewaltigen Ungetüms wirkten.
Ein zischender Laut ertönte.
Binnen Sekunden wurde der Baum von einer durchsichtigen Schicht überzogen.
Eis.
Die Krähe versuchte noch davonzufliegen.
Sie erstarrte, während sie die Flügel ausbreitete. Als schockgefrorene Statue fiel sie mit einem dumpfen Laut ins Gras.
Tom trat neben mich.
"Mein Gott, was ist das?", fragte er fassungslos.
"Ich weiß es nicht...", flüsterte ich.
Die Gestalt wankte auf uns zu. Der marionettenhafte Gang glich jenem, den ich bei dem Eis-Zombie in meinem Alptraum gesehen hatte. Mit Schrecken sah ich die Uniformjacke der englischen Polizei. Das Gesicht war schrecklich verzerrt.
Eine Maske des Grauens, die durch einen schmutzigen Film aus Eis hindurchblickte.
Das war also aus dem Polizisten geworden, dessen Helm Tom gefunden hatte.
Eine Kreatur des Schreckens.
Die mentalen Impulse, die ich gespürt hatte, gingen zweifellos von dieser
Weitere Kostenlose Bücher