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Ufer des Verlangens (German Edition)

Ufer des Verlangens (German Edition)

Titel: Ufer des Verlangens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Hamilton
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bewohnte, achtete stets gewissenhaft darauf, dass die Läden bei Anbruch der Nacht geschlossen wurden.
    Zelda stand auf, lief mit nackten Füßen zum Fenster und versuchte, durch die Ritzen nach draußen zu spähen. Doch sie sah fast nichts, der schmale Spalt war zu eng.
    Leise, um die anderen nicht aufzuwecken, löste sie den kleinen Riegel und stieß den Holzladen behutsam auf. Für einen winzigen Moment war sie geblendet vom Mondlicht. Voll und rund wie eine auf Hochglanz polierte Platte stand er am Himmel und tauchte die Gegend in silbernes Licht.
    Zelda beugte sich hinaus, spürte den kühlen Nachtwind im Gesicht und im Haar und sah zuerst in den Hof.
    Still und verlassen lag er da, nur der Hofhund hatte seine Hütte verlassen, stand auf den Pflastersteinen und stierte den Mond an, als wäre er ein runder Käse.
    Zeldas Blick schweifte über die Felder, die sich wie mit schwarzsilbernen Tüchern bedeckt darboten.
    Doch da, da hinten am Waldrand, was war das?
    Zelda legte die Hand über die Augen, um besser sehen zu können. Sie erkannte ein großes Pferd, das einsam dort entlanggaloppierte. Auf dem Pferd saß eine Gestalt. Nein, halt! Es mussten zwei Menschen sein! Zelda sah eine Frau, die ein langes, helles Kleid trug, das im Mondlicht wie eine Flagge schimmerte. Dahinter erkannte sie einen Mann, der dem Pferd die Sporen gab.
    Doch ebenso rasch, wie die Gestalten aufgetaucht waren, waren sie auch schon im schützenden Dickicht des Waldes verschwunden.
    Habe ich Geister gesehen?, fragte sich Zelda. Oder hat mir meine Fantasie Spukbilder vorgegaukelt?
    Sie blieb noch eine Weile am Fenster stehen, betrachtete aufmerksam jeden Flecken ihres Blickfeldes, lauschte auf irgendwelche Geräusche, doch sie sah nur die Felder, die sie seit ihrer Kindheit kannte, den Wald, der sie so oft schon vor Unwettern beschützt hatte, und hörte den Wind, der ihr heißes Gesicht kühlte.
    Schließlich schloss sie den Laden, verriegelte ihn und tappte mit nackten, nun kalten Füßen ins Bett.
    Es war nichts, beruhigte sie sich selbst. Meine Einbildungskraft hat mir einen Streich gespielt. Wie sollte es auch anders sein nach einem Traum, in der ein See mit der Stimme eines Mannes spricht?
    Es dauerte lange, bis sie einschlief, denn irgendwo in der Tiefe ihres Herzens ahnte sie, dass sie kein Spukbild da am nächtlichen Waldrand gesehen hatte.
    Als die Dämmerung wie ein schwarzgraues Band am Horizont erschien, schlief sie traumlos und fest, bis aufgeregte Stimmen sie weckten.
    »Zelda, wach auf! Schnell, etwas Schreckliches ist geschehen! «
    Sie erwachte und wusste für einen Augenblick nicht, wo sie sich befand. Der nächtliche Spuk fiel ihr ein, die beiden Reiter auf nur einem Pferd. Eine Ahnung überfiel sie, Kälte kroch durch ihren Körper wie ein eisiger Wind.
    Schnell sprang sie auf, schlüpfte nachlässig in ein einfaches Kleid und rannte hinunter in die Halle.
    Der alte Lord McLain lief wie ein gefangener Bär auf dem Dielenboden auf und ab und rang die Hände. Die Köchin und die alte Amme Margaret hielten sich umarmt, Connor saß am Tisch und starrte Löcher in die Platte, die junge Magd, die erst seit wenigen Wochen auf den McLain-Manors arbeitete, lehnte an der Wand und weinte.
    »Was ist los? Was ist passiert?«, fragte Zelda, und die Kälte in ihr wurde zu blankem Eis. »Jetzt redet schon … Vater! Was ist geschehen?«
    Lord McLain öffnete den Mund, doch er brachte nicht ein einziges Wort heraus. Der Blick seiner Augen war so voller Leid und Gram, dass es Zelda das Blut abschnürte.
    »Connor, sagt Ihr mir, was geschehen ist?«
    Die kleine Magd schluchzte laut auf und schnäuzte sich geräuschvoll in ihre Schürze.
    »Joan ist weg«, sagte Connor, und auch er sprach mit Grabesstimme.
    »Weg? Was heißt das? Sie kann doch nicht weg sein! Wo soll sie denn hin?«
    Die Fragen sprudelten aus Zelda heraus wie ein Bergquell. Es war die Angst, die ihr die Worte aus dem Mund jagte. Ihre dunkle Ahnung wurde allmählich zur Gewissheit. Aber noch war nichts ausgesprochen. Noch klammerte sie sich an die unsinnige Hoffnung, Joan könnte sich versteckt haben, wäre noch hier, ganz in ihrer Nähe, käme jeden Moment lachend zur Tür hinein.
    »Habt Ihr im Hühnerstall nachgesehen? Im Kräutergarten? Draußen, auf der Wiese? Habt Ihr die Keller und Kammer durchsucht? Nein, sie ist nicht weg. Nicht Joan. Wo soll sie denn sein?«
    Die anderen schwiegen. Ihr Vater starrte sie mit seltsamleerem Blick an, hob die Arme und ließ sie fallen,

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