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Ufer des Verlangens (German Edition)

Ufer des Verlangens (German Edition)

Titel: Ufer des Verlangens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Hamilton
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klug wäre, wenn sich die beiden in aller Öffentlichkeit zeigten. Die Einbildungskraft der Schotten und die Sensationsgier sind über alle Grenzen hinaus bekannt. Natürlich auch der Geiz, das ist schon wahr. Trotzdem würde ich vorschlagen, dass die Junge etwas anderes zu tun bekommt.«
    Esmeralda nickte. »Was könnt Ihr?«, fragte sie schließlich.
    Zelda zögerte: »Ich weiß nicht. Ich kann reiten, verstehe es auch, ein Schwert zu führen. Doch in den Gauklerkünsten bin ich völlig unerfahren.«
    »Gut, so werdet Ihr den Menschen aus der Hand lesen.Ich werde Euch ein Tuch um den Kopf binden und ein weiteres um Eure Schultern legen.«
    »Aus der Hand das Schicksal lesen? Aber das ist eine Kunst, die nur sehr wenige beherrschen. Ich gehöre ganz bestimmt nicht dazu.«
    Esmeralda lachte. »Es ist leichter, als Ihr denkt. Seht den Menschen ins Gesicht. Studiert Ihre Kleidung und ihre Züge. Daran werdet Ihr ihre Wünsche erkennen.«
    »Wie das?«
    Esmeralda kam näher und sah Zelda aufmerksam ins Gesicht. Dann nahm sie ihre Hand, fuhr mit dem Finger einige Linien darin nach und sagte: »Euer Leben ist an einem Wendepunkt. Wenn Ihr tapfer seid und den richtigen Weg nicht verfehlt, so wird Euch am Ende das Glück winken. Ihr wartet auf die Liebe, doch Euer Glaube daran ist schwankend. Verliert ihr ihn, so verliert Ihr auch die Liebe. Doch Ihr seid mutig, wisst, wie Ihr Eure Furcht überwinden könnt.«
    Verblüfft hatte Zelda zugehört. »Woher wisst Ihr das alles?«
    Esmeralda lachte: »Es stimmt, die Linien in Eurer Hand haben eine Bedeutung. Doch darauf ist im Allgemeinen kein Verlass. An Euren Augen habe ich erkannt, dass Ihr unglücklich verliebt seid. Der Ausdruck darin wechselt zwischen Freude und Verzweiflung. Ihr kommt von weit her, wollt nach Edinburgh, doch Ihr sprecht, wie die Menschen in den tiefsten Highlands sprechen. Eine solch weite Reise macht man nicht jeden Tag. Deshalb bin ich sicher, dass Euer Leben an einem Wendepunkt steht. Und wäret Ihr ängstlich, so wäret Ihr meinem lieben Henkersfreund nicht in sein Haus gefolgt. Ihr seht also, es ist ganz einfach. Tut so, als wäret Ihr die stille, blanke Oberfläche eines Sees, in dem sich derMensch, der vor Euch steht, spiegelt. Mehr wollen sie nicht wissen.«
    »Aber … ist das nicht Betrug?«, fragte Zelda leise.
    »Nein. Wieso? Wer außer einem Wahrsager oder einer Handleserin sagt den Menschen, wie sie sind? Niemand. Wir sind die Hofnarren der Armen, und wir schaden niemandem. Wir lügen nicht, wir sagen nur, was wir sehen. Allein damit haben wir schon so manchen vor dem Unglück bewahrt.«
    Noch immer zögerte Zelda, doch Elizabeth sagte nun ebenfalls: »Die Zigeunerin hat Recht. Es gibt wenige Menschen, die einem wirklich sagen, was sie über einen denken. Es braucht viel Einfühlungsvermögen und Menschenliebe dazu. Über beides verfügst du, wenn es dir auch an Erfahrung mangelt. Versuchen solltest du es aber auf jeden Fall.«
    Sie nickte Zelda aufmunternd zu, dann wandte sie sich an Esmeralda. »Und ich? Was könnte ich für Euch tun?«
    »Ihr seid eine kluge Frau«, antwortete die Zigeunerin. »Sagt mir, über welche Fähigkeiten Ihr verfügt, und ich werde Euch entsprechend Arbeit geben.«
    »Ich bin eine Wehfrau, kenne den weiblichen Körper bis in den letzten Winkel und verstehe mich ein wenig auf Kräuter und Heilkunde.«
    Esmeralda klatschte in die Hände. »Wunderbar. Auch ich bin eine Heilkundige. Wir werden uns die Arbeit teilen. Ihr werdet für die Frauen zuständig sein, ich für die Männer.«
    Von draußen waren Geräusche zu hören. Mehrere Planwagen rollten auf das Gehöft. Männer riefen Scherzworte, Frauen lachten, Kinder plapperten fröhlich vor sich hin. Jemand schlug eine Laute, ein junges Mädchen mit heller Sopranstimme sang eine wehmütige Melodie.
    »Das sind meine Leute«, sagte Esmeralda. »Sie haben sich vor dem Unwetter im Wald in Sicherheit gebracht. Doch nun strahlt der Himmel im hellsten Blau, und es wird Zeit, dass wir uns auf den Weg machen.«
    Sie umarmte den Henker, der ihr ein wenig gerührt auf die Schulter klopfte, dann winkte sie Elizabeth und Zelda, ihr zu folgen.
    Dankbar verabschiedeten sich die beiden Frauen von dem Henker, der sich als so freundlich erwiesen hatte, und verließen die karge Hütte.

11. Kapitel
    Zwei Stunden später geriet die kleine Kolonne auf einen Dorfplatz. Eines der Kinder, die dazugehörten, ein Junge von vielleicht sieben Jahren mit dunklen, lockigen Haaren und beinahe

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