Ufer des Verlangens (German Edition)
hatten sie noch immer nicht gefunden, wonach sie suchten.
Plötzlich schlug sich Zelda mit der Hand vor die Stirn: »Wie dumm ich doch bin«, sagte sie. »Wie konnte ich nur glauben, dass Joan unter ihrem richtigen Namen reist? Sie ist auf der Flucht. Natürlich muss sie sich anders nennen. Warum bin ich nur nicht gleich daraufgekommen?«
»Ist alles in Ordnung?«, erkundigte sich der Hafenmeister.
»Wer betreut die Passagiere? Wer geleitet sie an Bord?«, wollte Zelda wissen.
»Nun, meist bin ich dafür zuständig. Könnt Ihr die Leute beschreiben, um die es sich handelt? Könnt Ihr mir Namen nennen? Wenn Sie auch nicht unter ihren richtigen Namen auf den Listen verzeichnet sind, so ist es doch möglich, dass ich gehört habe, dass sie sich gegenseitig riefen.«
»Meine Schwester, die ich suche, heißt Lady Joan McLain. Sie ist von eher zierlicher Gestalt, mit blassem Gesicht und hellem Haar. Ihre Schönheit ist auffallend, besonders, weil sie eher aussieht wie eine Frau aus den Nordländern. Begleitet wird sie von einem groß gewachsenen Mann mit mahagoniroten Haaren. Er hat graublaue Augen, sehr breite Schultern und ist wie ein Lord gekleidet. Ian Laverry ist sein Name.«
»Was sagt Ihr da? Ian Laverty?«
Der Hafenmeister war plötzlich sehr aufmerksam geworden. Sein Körper straffte sich, und beinahe hatte es den Anschein, als wolle er Haltung annehmen.
»Ian Laverry?«, fragte er noch einmal nach und strich sich glättend über sein Wams.
»Ganz recht. Habt Ihr ihn gesehen?«
Der Hafenmeister warf sich in die Brust. »Natürlich habe ich das! Erst vor kurzem noch war er hier.«
Er zeigte auf einen kleinen Platz vor seinem Fenster.
»Genau dort hat er gestanden. Wie er leibt und lebt. Ich sehe ihn oft. Fast jeden Tag ist er hier im Hafen. Jeder kennt ihn hier.«
Die Stimme des Hafenmeisters klang voller Überzeugung.
Zelda hörte ihm ungläubig zu, fasste nach Elizabeths Hand und drückte sie vor Aufregung.
»Meint Ihr wirklich lan Laverty aus Edinburgh?«, fragte sie noch einmal nach, weil sie ihren Ohren kaum zu trauen wagte.
»Wenn ich es Euch doch sage«, erwiderte der Hafenmeister in gespielter Entrüstung. »Vor höchstens einer Stunde stand er noch hier draußen. Und wenn ich mich recht besinne, so war tatsächlich eine junge Frau bei ihm. Schlank und schmal, sagtet Ihr? Mit feinen blonden Haaren und dem blassen Gesicht einer Nordländerin. Ja, eine solche Frau war in seiner Begleitung. Ich dachte noch: Oh, das arme Ding, welches lan Laverty da am Arm hat. Sie sah aus, als hätte sie geweint, wisst Ihr? Ganz rot waren ihre Augen und auch die Nasenspitze. Fleckig vor Tränen das Gesicht. Mir ist sogar, als hätte sie die Hände gerungen.«
»Und weiter? Was habt Ihr noch gesehen?«
Der Hafenmeister zuckte mit den Achseln.
»Nicht viel. Nichts Besonderes. lan Laverty sprach mit einem Mann, der plötzlich wie aus dem Nichts auftauchte. Ein großer Mann mit einem ernsten Gesicht und breiten Schultern. Wie ein Holzfäller aus den Highlands sah er aus. Ganz von Staub bedeckt war er, undsein Umhang, den er lässig über die Schulter gelegt hatte, trug in der Mitte einen langen Riss.«
»Und dann? Was geschah weiter?«
Zelda war aufgestanden und auf den Hafenmeister zugegangen. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte ihn am Wams gepackt und alles, was er wusste, aus ihm herausgeschüttelt.
»So redet endlich! «
»Nun, ich will kein falsches Zeugnis ablegen wider meinem Nächsten«, schwatzte der Hafenmeister, zog ein gottesfürchtiges Gesicht und faltete fromm die Hände vor seinem dicken Bauch.
Zelda verstand. Wieder griff sie nach ihrem ledernen Beutel und holte ein Goldstück daraus hervor. Mit leiser Abscheu warf sie es auf den Tisch. Der Hafenmeister griff sofort danach, betrachtete es von allen Seiten und ließ es in Windeseile in der Tasche seines schlichten Wamses verschwinden.
»Also? Was ist? So redet doch!«
»Nun, mir schien es so, als übergäbe Ian Laverty die traurige junge Frau an den wild aussehenden Gesellen. Zumindest fasste er sie am Ellbogen und schob sie ein kleines Stück in seine Richtung.«
»Hat sich die Frau gewehrt?«
Der Hafenmeister schüttelte den Kopf.
»Nein, bestimmt nicht. Sie wirkte eher wie erstarrt, wenn Ihr wisst, was ich meine.«
»Nein, ich habe keine Ahnung, wovon Ihr sprecht. Erklärt Euch genauer. Was habt Ihr gesehen?«
»Die kleine Lady weinte. Ihre Schultern bebten, und der andere Mann nahm sie an der Hand und tätschelte ihr den
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