Ufer des Verlangens (German Edition)
Richtungen um, doch von Ian Laverty war ringsum nichts zu sehen. Sie seufzte und hörte auf das Schlagen der Turmuhr, die bereits die achte Stunde verkündete.
Es ziemte sich nicht für eine junge Frau, wie sie es war, um diese Zeit noch ohne Begleitung auf offener Straße gesehen zu werden. Und noch weniger gehörte sich ihre Anwesenheit im Hafen.
Ein letztes Mal sah sie sich um, doch als der Hafenwächter mit einer Pechfackel in der Hand zu seiner ersten Kontrollrunde antrat, da erhob sie sich und ging enttäuscht und bange um Joans Schicksal langsam an der steinernen Kaimauer entlang. Am Ende der Hafengebäude bog sie um eine Ecke und betrat eine Gasse, die vom Hafen weg und hinauf zur Stadt führte.
Sie hatte ihren Fuß gerade in die Gasse gesetzt, da stieß sie mit einem Entgegenkommenden zusammen.
»Oh, verzeiht vielmals«, sagte der Mann, gegen den Zelda gerannt war – und den sie sofort erkannte. Sein Geruch stieg ihr in die Nase, seine Stimme fuhr wieBalsam in ihre Seele und legte sich schützend über die Narben.
»Aber … aber«, stotterte der Mann. »Da ist ja meine Waldfee! Oh, wie sehr ich mich nach dir gesehnt habe.«
Er hielt sie am Arm, sah ihr in die Augen, und wieder meinte Zelda, darin Liebe und große Zärtlichkeit zu entdecken. Ihr Herz wollte dahinschmelzen, ihr Körper wollte sich an seinen pressen, ihr Mund strebte nach seinen Lippen, doch Zelda hielt sich zurück. Er ist ein Verbrecher, dachte sie wieder und wieder, als betete sie in Gedanken das Vaterunser oder den Rosenkranz. Ich darf ihm nicht erneut verfallen.
»Auch ich freue mich, Euch, Ian Laverty, wieder zu sehen.«
»Liebste, wie kommst du hierher nach Edinburgh? Oh, ich bin ganz durcheinander vor lauter Freude, dich endlich wieder in meiner Nähe zu haben. Sag, hast du wohl Zeit für einen kleinen Spaziergang? Jetzt, wo ich dich endlich wieder gefunden habe, bin ich nicht bereit, dich gleich wieder gehen zu lassen.«
»Nun, ich hatte nicht den Eindruck, dass Ihr inständig nach mir gesucht habt«, erwiderte Zelda mit aller Kühle, die sie aufzubringen imstande war. Ihr Herz trommelte zum Zerspringen, und ihr Busen bebte wie nach einem schnellen Lauf. Die Aufregung hatte ihr eine zarte Röte in die Wangen getrieben und Ian Laverty fiel es sichtlich schwer, sich von ihrem zauberhaften Anblick loszureißen.
Doch ihre Worte, aus denen Schmerz klang, wollte er nicht übergehen.
»Entschuldige bitte. Aber ich sagte dir doch, dass ich noch einen Auftrag zu erledigen hätte. Doch jetzt ist alles, wie es sein soll, und ich plante bereits, morgen in dieHighlands aufzubrechen und an unserem Ufer des Verlangens so lange zu warten, bis ich dich eines Tages wiedersehen würde. Doch der Zufall hat dich mir heute über den Weg geschickt, und ich schwöre dir, meine Waldfee, dass er mir damit das schönste Geschenk gemacht hat, das ich jemals bekommen habe.«
Er hob die Hand und strich Zelda zart über die Wange. Sie erbebte unter der Berührung, doch sie wollte sich nichts von ihrer Erregung anmerken lassen.
»Was tust du in Edinburgh?«, fragte lan Laverty nun.
»Genauso gut könnte ich Euch fragen, welchen Auftrag Ihr hier zu erledigen hattet.«
lan lachte. »Ich sehe schon, du bist mir böse. Und du hast Recht. Wäre es nicht mein bester Freund gewesen, der mich um einen Gefallen bat, ich wäre bei dir geblieben, und keine Macht der Welt hätte mich jemals wieder von deiner Seite gebracht.«
Neugierig beugte sich Zelda ein wenig nach vorn und zwang sich zu einem Lächeln.
»Was war das für ein geheimnisvoller Auftrag, um den Ihr ein solches Aufheben macht?«
lan Laverty sah Zelda ernst an, dann antwortete er: »Es tut mir Leid, noch kann ich dir nichts darüber erzählen. In vier Tagen aber darfst du mich alles fragen, was du wissen möchtest.«
Zelda zuckte gespielt gleichgültig die Achseln, um nicht zu neugierig zu wirken. »Wie Ihr wollt«, sagte sie.
Sie durfte kein allzu großes Interesse bekunden, denn lan Laverty ahnte ja nicht im Mindesten, dass Joan, die er geraubt und verkauft hatte, ihre über alles geliebte kleine Schwester war. Für lan Laverty war sie eine fremde Waldfee, die er zweimal in seinem ganzen Leben getroffen hatte. Nichts wusste er von ihr, kannte wederihren Namen noch ihre Herkunft, und sie gedachte, ihn so lange wie nur möglich in Unwissenheit zu halten.
»Du hast mir noch immer nicht gesagt, was du hier in der Stadt tust.«
Er betrachtete sie von oben bis unten mit bewundernden Blicken.
Weitere Kostenlose Bücher