Ufer des Verlangens (German Edition)
sich noch in den Kissen wälzten oder aber bereits bei der Arbeit waren.
Gern hätte Zelda der Predigt des Bischofs von Edinburgh gelauscht, kannte sie doch bisher nur die sich stets wiederholenden Worte des Priesters, der einmal wöchentlich eine Messe in der Kapelle des Gutshauses abhielt; doch dann zog etwas anderes ihre Aufmerksamkeit in den Bann.
In der Bankreihe vor ihr unterhielten sich zwei Frauen. Als der Name lan Laverty fiel, rückte Zelda aufihrem Sitz nach vorn und beugte sogar den Oberkörper, sodass ihr kein Wort entgehen konnte.
»Ich habe gehört, er ist zurück«, berichtete die eine der Frauen.
Die andere sagte: »Ja, das habe ich auch gehört. Doch niemand ‘weiß, was er in den Highlands gemacht hat.«
»Merkwürdig. Wirklich merkwürdig. Die Nachbarin erzählte, er wolle sich eine Braut von dort holen. Eine unschuldige Highlanderin aus gutem Hause, die wenig Ahnung vom Leben in der größten Hafenstadt Englands und Schottlands hat.«
»Ja, das würde gut zu Ian Laverty passen. Doch soviel ich weiß, ist er ohne eine Braut zurückgekehrt.«
»Oh, bei ihm weiß man nie, woran man ist. Vielleicht kommt die Auserwählte später nach? Jedenfalls herrscht Ruhe und Ordnung im Hafen, seit er wieder da ist.«
»Was Recht ist, muss auch Recht bleiben. Mag er sein, wie er will, eines steht fest: Im Hafen hat er das Sagen. Und er hat seine Leute fest im Griff. Niemand würde es wagen, sich seinen Anweisungen zu widersetzen.«
Die andere kicherte: »Recht hast du! Wie der Vater, so der Sohn. Nur mit den Frauen hält es Ian anders. Der alte Laverty war im Ganzen wohl fünfmal verheiratet. Aber der Junge geht schon beinahe in das achtundzwanzigste Jahr und hat noch immer keine Braut vor den Altar gestellt.«
»Er wird wählerisch sein. Halb Edinburgh liegt ihm zu Füßen. Kein Wunder, dass er sich bisher noch für keine entschieden hat.«
Eine andere Frau zischte und bat um Ruhe, sodass das Gespräch verstummte.
Aber Zelda hatte genug gehört. »Im Hafen hat er das Sagen. Und er hat seine Leute fest im Griff.«
Das konnte doch wirklich nur heißen, dass Ian Laverty der Kopf einer Bande war, die die Geschäfte im Hafen kontrollierte. Oh, Zelda hatte genug Fantasie, um sich vorzustellen, was das für Geschäfte waren! Mädchenhandel natürlich. Aber vielleicht auch der Verkauf gestohlener Waren, der Ankauf von Gütern aus fernen Ländern, die in Edinburgh um ein Vielfaches des Einkaufspreises angeboten wurden. Ja, möglicherweise war lan Laverty sogar der Kopf einer Piratenbande, die Handelsschiffe überfiel, ausraubte und sich wenig um das Schicksal der Besatzung kümmerte.
Doch die Frauen hatten mit Achtung und Respekt von Laverty gesprochen. War er vielleicht ein »guter« Räuber?
Ein Verbrecher mit edler Gesinnung wie Robin Hood?
Zelda erinnerte sich an die Geschichte des Hauptmanns vom Sherwood Forrest, die ihr Margaret früher immer erzählt hatte: Robin Hood wxirde in einem Dorf in Nottinghamshire geboren. Sein Vater war Förster, und er hatte einen reichen alten Onkel, den Gutsherrn Gamewell, der war ein Bruder seiner Mutter und wohnte etwa zwanzig Meilen weit entfernt.
Als Robin Hood ungefähr dreizehn Jahre alt war, wurde beschlossen, dass er zu Weihnachten seinen Onkel besuchen sollte. Zu Pferd machte er sich auf den Weg, und seine Mutter saß hinter ihm. Als sie auf Gut Gamewell ankamen, hieß sie der Gutsherr herzlich willkommen. Er hatte eine große Gesellschaft in seinem Haus, und sie verbrachten den Tag mit viel lustiger Unterhaltung. Hier war es, wo sich Robin mit Little John anfreundete, nach welchem sein Onkel gesandt hatte, auf dass er die Gesellschaft mit seinen spaßigen Possen unterhalte. Aber wie erstaunt waren die Gäste, alsRobin aufstand und ihm alle Kniffe nachmachte, und dazu noch besser als er! Der Gutsherr war von seinem Neffen so entzückt, das er versprach, ihn zu seinem Erben einzusetzen, wenn er auf Gamewell bleiben wollte.
Einmal, als Robin fort war, um seinen Vater zu besuchen, da wurde der Gutsherr plötzlich krank, und man sandte einen Boten, der ihn eiligst heimholen sollte. Inzwischen fühlte der Gutsherr, dass er sterben müsste, und schickte nach einem Mönch, damit er mit dem Himmel seinen Frieden machen konnte. Und dieser Mönch brachte ihn dazu, ein Dokument zu unterzeichnen, womit er alles, was er besaß, der Kirche übereignete. Als Robin auf dem Gut ankam, war sein Onkel tot, und die Mönche, die das Haus in Besitz genommen hatten, schlossen
Weitere Kostenlose Bücher