Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ufer von Morgen

Ufer von Morgen

Titel: Ufer von Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
Vom Netzwerk:
Tage, bevor sich die Vollversammlung vertagen wollte – saßen die Merrills vor dem Fernsehgerät. Er und Ellen hatten keine Lust mehr, etwas zu lesen, wollten keine Bänder mit Musik mehr hören. Die Anspannung der letzten Monate hatte ihnen die Kraft geraubt. Beinahe verzweifelt hatten sie den Fernseher angestellt und hofften auf Entspannung.
    Der Bildschirm wurde hell. Eine ölige Stimme sagte: »Sehr wohl, Mr. Pulaski. Sie haben die Gruppe mit fünfzigtausend Dollar erreicht. Sie haben die Wahl – wollen Sie sich mit dem, was Sie erreicht haben, zurückziehen oder wollen Sie auf die Hunderttausend zustürmen? Alles oder nichts, Mr. Pulaski. Was sagen Sie?«
    »Du liebe Güte«, rief Ellen, »ein Quiz! Wir können sicher etwas Interessanteres finden –«
    »Nein«, unterbrach sie Merrill mit merkwürdiger Stimme, »laß es an.«
    Ellen zuckte mit den Achseln.
    Die Kamera richtete sich auf einen unscheinbaren Mann in einem braunkarierten Anzug. Vor Unentschlossenheit schien er wie gelähmt. Dann sagte er: »Bis jetzt ist es gut gelaufen. Ich glaub’, ich riskier’s.«
    Die Zuschauer brachen in laute Bravorufe aus. Der Ansager keuchte heiser: »Er will’s tun. Meine Damen und Herren, er setzt auf alles oder nichts. Würden Sie bitte wieder in Ihre Kabine gehen, Mr. Pulaski?«
    »Dane, bitte. Sollen wir uns das wirklich ansehen?«
    »Eine Minute, Ellen.«
    »Jetzt geht es um hunderttausend Dollar«, sagte der Quizmaster erregt. »Sie haben dreißig Sekunden. Einhunderttausend Dollar, Mr. Pulaski: Können Sie uns die ersten acht Herrscher der karolingischen Dynastie Frankreichs nennen?«
    »Hm, Pippin der Kleine, dann Karl der Große, schaun wir mal – Ludwig der Erste, einen Augenblick, nach ihm kommt Karl der Erste –«
    Merrill schaltete plötzlich mit einem kurzen Druck auf die Fernbedienung den Apparat aus, und das angespannte Gesicht von Mr. Pulaski verschwand. Ellen sah ihn überrascht an. »Erst möchtest du es sehen, und dann schaltest du im spannendsten Augenblick ab. Dane, es gibt Augenblicke, in denen ich dich überhaupt nicht verstehe, denn –«
    »Ich habe die Antwort«, fiel er ihr ins Wort. Er spürte eine große, innere Ruhe. Wenn man jetzt nur noch auf ihn hören wollte!
    »Du weißt die Namen von diesen Königen?«
    »Das meine ich nicht. Ich habe die Antwort. Wo ist das Telefon? Ich muß sofort St. Leger anrufen.«
    › – und jetzt zu den Vereinten Nationen. Die Frage der Kolonisation von Planeten, die seit der Vertagung vom 11. April geruht hatte, ist anscheinend wieder hochaktuell. Generalsekretär St. Leger hat für morgen nachmittag den Ausschuß zu einer nichtöffentlichen Sitzung einberufen, in der neue Vorschläge diskutiert werden. Vertreter des Ostens und des Westens werden an der Sitzung teilnehmen. Einzelheiten über die neuen Vorschläge sind noch nicht bekanntgeworden – Nachrichtensendung des Fernsehens vom 12. Juni 2052
    In dem kleinen Konferenzraum, den der Generalsekretär für Gespräche auf höchster Ebene hatte reservieren lassen, befanden sich sieben Männer. St. Leger und Dane Merrill saßen hinter einem niedrigen Tisch, den anderen gegenüber. Vor ihnen links saßen die Chinesen Wu und Dr. Hwang, rechts der Delegierte der Vereinigten Staaten, Kennedy, daneben Michael Reed und ein kleiner, vitaler Mann, der Dr. Manly Halliburton hieß und der Leiter des Projekts Terraformierung war.
    Es war ein warmer, fast schwüler Junitag. St. Leger wirkte müde und abgespannt und sagte: »Meine Herren, ich habe Sie zusammengerufen, um einen letzten Versuch zu unternehmen, den toten Punkt zu überwinden. Vor einigen Tagen kam mein Mitarbeiter Mr. Merrill, den Sie ja alle kennen, zu mir und legte mir eine Reihe neuer, verblüffender Vorschläge vor, wie die Krise zu überwinden sei. Ich habe Mr. Merrills Überlegungen genau studiert und gesehen, daß sie Hand und Fuß haben.« St. Leger seufzte tief. »Um Zeit zu sparen, habe ich vor, Mr. Merrill den Vorsitz in dieser Besprechung zu überlassen. Hat jemand etwas dagegen? Schön. Mr. Merrill, Sie haben jetzt den Vorsitz.«
    Merrill nickte. Er war nicht länger der treue, anonyme Mitarbeiter des Sekretariats. Er befeuchtete sich die Lippen. Er sagte: »Meine Herren, bevor wir auf die Einzelheiten eingehen, möchte ich eine grundlegende Tatsache erwähnen. Wir gehören den Vereinten Nationen an und sind doch den Völkern dieser Welt direkt verantwortlich. Wenn wir nicht im besten Interesse der Menschheit handeln, werden andere an

Weitere Kostenlose Bücher