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Ufer von Morgen

Ufer von Morgen

Titel: Ufer von Morgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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wir leben jedoch in einer Demokratie, in der gewählt wird. Wissen Sie, was geschehen wird, wenn ich von unserem jetzigen Standpunkt abgehe und für die Pantropie stimme?«
    »Ich kann es mir denken. Sie, der Präsident und der Rest der Regierung werden nach der Wahl im Herbst Ihrer Ämter verlustig gegangen sein.«
    Kennedy nickte. »Die Leute würden ihr Vertrauen in uns verlieren und uns mit gewaltiger Mehrheit abwählen.«
    »Die Wahlen im November«, sagte Merrill. »Sie möchten sich davor nicht in Gefahr begeben. Aber angenommen, der Präsident wird wiedergewählt, was halten Sie davon, daß sich der Westen möglicherweise nächstes Jahr aus strategischen Gründen von seiner Position zurückzieht? Ich meine, man kann den Stillstand bis zu den Wahlen dauern lassen und –«
    »Klein beigeben? Sie sprechen eine weitere Schwierigkeit an, Merrill. Wir glauben an unser eigenes Projekt. Wir verstehen nicht, wieso man von uns die bedingungslose Kapitulation verlangt. Wir meinen, die Asiaten sollten sich zurückziehen.«
    Merrill befeuchtete sich die Lippen. »Die Asiaten denken selbstverständlich ebenso über Ihre Ideen. Zu dumm, daß es keinen Mittelweg gibt. Man ließe die Chinesen zum Beispiel pantropische Wesen für den Mars schaffen und gäbe dem Westen die Venus zur Terraformierung.«
    »Ich habe diesen Vorschlag schon gehört«, sagte Kennedy. »Er hat zwei riesige Mängel. Zum ersten wäre dieses Land nie damit einverstanden, Gelder der Vereinten Nationen für die Pantropie auszugeben. Zweitens würde es Jahrzehnte dauern, bis wir eine Technik zur Terraformierung der Venus entwickelt haben.«
    »Na schön«, seufzte Merrill, »es bleibt eben alles beim alten.«
    »Ich fürchte schon. Merrrill, glauben Sie mir, ich bin sehr für eine Lösung. Aber es scheint keinen Kompromiß zu geben, und wir weigern uns einfach, total zu kapitulieren.«
    »Ich glaube, dabei müssen wir es belassen«, sagte Merrill leise. »Guten Tag, Mr. Kennedy, und danke, daß Sie mir Ihre Zeit geopfert haben.«
    Merrill erhob sich und ging. Er hatte das ungute Gefühl, er probiere nur eine Möglichkeit nach der anderen aus, und am Ende werde er mit den Schultern zucken müssen, und der tote Punkt würde nicht überwunden sein.
    Auf dem Flur vor den Büros der amerikanischen Delegation nahm Merrill einen Notizblock aus der Tasche und kritzelte eine Meldung an St. Leger.
    ›Kennedy stahlhart. Fürchtet sich, klein beizugeben. Vielleicht besteht Möglichkeit, daß einseitig gehandelt wird, um den toten Punkt zu überwinden. Ich suche jetzt Wu auf. Die Aussichten sind nicht sehr ermutigend. Merrill‹
    Wu Hsien-fu, rangältestes Mitglied der chinesischen Delegation bei den Vereinten Nationen, sprach genausogut Englisch wie Dr. Hwang. Er war Ende Sechzig, sah aber zwanzig Jahre jünger aus.
    Er sagte knapp: »Ein Kompromiß kommt nicht in Frage, Mr. Merrill. Darf ich jedoch fragen, warum wir diejenigen sein sollen, von denen ein Nachgeben erwartet wird?«
    »Weil«, antwortete Merrill müde, »sich der Westen weigert. So einfach ist das. Im Namen von Mr. St. Leger schlage ich vor, daß die asiatischen Nationen ihren Standpunkt edelmütig aufgeben, um dem Weltfrieden zu dienen.«
    Wu lachte leise. »Das klingt wirklich sehr edel. Ein solches Entgegenkommen ist aber undenkbar.«
    »Es ist eine Gelegenheit, eine Geste der moralischen Stärke zu machen. Sie werden die größere Beweglichkeit des Orients beweisen, die Fähigkeit, sich von einer unhaltbaren Position zurückzuziehen.«
    »Ich sehe das nicht so«, versetzte Wu. »Ich sehe es als gewaltigen Gesichtsverlust. Ich sehe es als einen Akt der Feigheit. Tut mir leid, Mr. Merrill.«
    Merrill wurde unruhig. »Die westlichen Nationen sehen es genauso. Was anscheinend niemand begreift, ist die Tatsache, daß dieser Stillstand vielleicht ewig dauert und keiner etwas gewinnen wird.«
    Wu zuckte die Achseln und erlaubte sich ein feines Lächeln. »Institutionen kommen und gehen. Wer hätte sich vor sechzig Jahren träumen lassen, daß die Sowjetunion zerbrechen würde? Wir Chinesen sind es gewohnt, zu warten. Wir ziehen das Warten einem feigen Entgegenkommen vor.«
    Das bedeutet, dachte sich Merrill, daß China entweder mit einer Auflösung der Vereinten Nationen rechnet oder eigene Schritte unternehmen will. Beide Möglichkeiten waren nicht sehr erfreulich.
    Er sagte: »Ich hatte kein völliges Zurückweichen im Auge, Mr. Wu. Vielleicht könnte man den Terraformern den Mars überlassen, damit sie

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