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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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drin! Schallplatten, wer hat denn noch so was!«
    Die Schallplatten waren zu einem größeren Teil historische Aufnahmen, manche davon richtige Sammlerstücke. Czybilla hütete sich, das zu sagen. Er hütete sich überhaupt, irgendetwas zu sagen. Er saß in einer Ecke seiner mit Antilopenleder bezogenen Couch und versuchte, so auszusehen, als ob er gar nicht vorhanden sei. An der Wand hinter ihm lehnte Brötchen, schweigend, und Czybilla hatte keine Lust zu erfahren, was passieren würde, wenn Brötchen etwas missfiele, eine Bemerkung zum Beispiel.
    »Hast du Tschaikowski? Die Sechste?«, fragte unmittelbar über ihm eine tiefe Stimme. Zum ersten Mal hatte Brötchen etwas gesagt.
    »Ja doch«, antwortete Czybilla, »linke Reihe, fünftes Fach von oben, drei Einspielungen, die Beste ist, finde ich, die von Karajan mit den Berliner Philharmonikern.«
    »Hast du gehört?«, sagte Brötchen. »Fünftes Fach links.« Wanja fand die CD und legte sie auf. Die Bläser setzten ein, zunächst fast unhörbar, aus weiter tiefer Ferne.
    »Die Kastelruther Spatzen wären mir lieber«, meinte Wanja, »aber du bist wirklich ein Glückspilz. Mein Kumpel mag so was.«
    Czybilla überlegte, ob es die Situation entspannen würde, wenn er jetzt sagte, die Geschmäcker seien eben verschieden. Aber er ließ es lieber bleiben.
    Wanja hatte sich der Bar zugewandt und den Kühlschrank geöffnet. »Meine Herrn!«, sagte er dann. »Das ist nun mal nicht von schlechten Eltern.« Er wandte sich um. »Und all das« – die Hand beschrieb einen Halbkreis, der Schrankwand und Sitzgruppe und Panoramafenster zu umfassen schien – »und all das kann sich einer leisten, der in so einer Klitsche von Halsabschneiderbank herumsteht und den Leuten bedrucktes Papier andreht?«
    Auch dazu, fand Czybilla, sagte er besser gar nichts.
    Wanja griff in den Schrank und griff sich eine Flasche Chi‑
    vas Regal. »Du magst Whisky? He – ich hab dich was gefragt.« »Ja, sicher«, antwortete Czybilla eilig.
    «Na gut.« Wanja kam auf ihn zu und schraubte die Flasche auf. »Ich finde, als Gastgeber bist du noch ein wenig unterkühlt. Die richtige Stimmung fehlt... trink!« Zögernd nahm Czybilla die Flasche.
    »Na los«, befahl Wanja, »zeig uns, dass du ein Kerl bist und nicht bloß eine Wampe mit Latschen!«
    Czybilla nahm vorsichtig einen Schluck und behielt ihn im Mund, wie um das Aroma auszukosten. Mit einem Paukenschlagbrachen die Berliner Philharmoniker aus den Lautsprechern und eilten weiter in lyrische Ferne.
    »Guck dir das Dämchen an!«, rief Wanja, »wie eine Tunte trinkt der, das ist doch im Kopf nicht auszuhalten.« Er nahm Czybilla die Flasche ab, setzte sie sich an den Mund und ließ einen knappen Viertelliter in sich hineinlaufen, ohne zu schlucken oder abzusetzen. »Und jetzt du!«
    »So kann ich das nicht«, wandte Czybilla ein. Wieder spürte er, wie Brötchen sich über ihn beugte.
    »Trink!«, sagte Brötchen.
    Czybilla nahm die Flasche und versuchte zu trinken, als ob es Wasser wäre. Die Streicher stritten mit den Bläsern, und Czybilla verschluckte sich, dass ihm die Tränen in die Augen schossen und der Atem wegblieb.
    Wanja sah ihm zu. »Das war ja nun gar nichts«, bemerkte er, als Czybilla wieder atmen konnte und sich die Augen wischte, »wie soll man da ein vernünftiges Gespräch unter vernünftigen Männern führen... Es ist nämlich so«, er beugte sich nach vorn und sah Czybilla fast freundschaftlich an, »wir hätten gerne etwas gelernt, und zwar über das Geld. Ich zum Beispiel, ich bin ein einfacher Mensch, mir gefallen die Kastelruther Spatzen, und ich hab auch keine Schrankwand aus so einem scheiß- vornehmen Holz, und wenn ich mal ein Geld in der Hand habe, dann sind das zehn Mäuse oder fünfzig und keine einzige mehr, denn so steht es auf den Scheinen auch drauf. Aber das, was bei mir drauf steht, das gilt nicht für die Bank, da sind zehn Mäuse plötzlich fünfzig, oder lausige angefressene Fünfzigtausend sind plötzlich Zweihundertfünfzigtausend, und wie das zugeht, das will ich jetzt doch mal wissen, verstehst du das?«
     
    P uck hatte Kuttler vorsichtig das Pflaster abgenommen, die Stelle darunter abgetupft und gesäubert und entschieden, dass er kein neues mehr brauchte.
    »Jetzt hab ich ganz vergessen, was ich Ihnen über die Mamutschkawirklich erzählen wollte«, fuhr sie fort und räumte Mull und Schere und die Flasche mit dem Desinfektionsmittel weg. »Während sie mir nämlich vorjammert, wo ihr armer Wanja

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