Uferwald
oder was wir von ihm erwarten.« Ob Tamar wohl vorher bei ihm vorbeikommen könne?
Tamar hängte ihren Mantel auf, es klopfte, in der Tür erschien Wilma Rohm, die noch immer da war oder schon wieder, die Samstagsausgabe des Tagblatts in der Hand. »Ich habe mit der Verkäuferin aus dem Obstladen gesprochen.«
»Hat sie denn reden wollen?«
»Sie wollte sich zuerst an gar nichts erinnern, ich merkte schon, dass sie Angst hatte, ich würde ihr Ärger machen wegen dieser Geschichte. Sie arbeitet schon lange nicht mehr auf dem Hauptbahnhof, ist verheiratet und geht auf dem Arbeitsamt putzen«, fuhr Wilma Rohm fort und warf einen Blick auf Tamar, als ob sie sich vergewissern müsse, dass sie auch alles richtig gemacht hatte. »Da hab ich ihr gesagt, dass wir ja beide im öffentlichen Dienst seien und uns Amtshilfe leisten müssten. Irgendwann hat sie dann geredet, aber von dem Mann, der ihr den Schlüssel brachte, weiß sie nur noch, dass er Rechtsanwalt war, deswegen hat sie auch gedacht, dass es nichts Unrechtes sei.«
»Und was ist mit dem anderen?« Tamar merkte, dass sie ungeduldig wurde. »Ich meine den, der den Schlüssel zum Schließfach dann abgeholt hat?«
»Das sei ein jüngerer Mann gewesen, hat sie gesagt, und siekönne sich gut an ihn erinnern, weil er eine solche Mähne gehabt hat.« Wilma Rohm hob ihre Hände und zeichnete um ihren zierlichen Kopf die Umrisse einer imaginären gekräuselten Lockenpracht. »Auf dem Zeitungsbild hat sie ihn auch sofort erkannt.« Sie legte Tamar das »Tagblatt« auf den Schreibtisch, sie hatte die Zeitung so gefaltet, dass die Lokalseite mit dem Artikel und den Bildern über die Vernissage im Kunstverein aufgeschlagen war. »In einer Viertelstunde hast du meinen Bericht.«
»Danke«, sagte Tamar, zögerte und fragte doch, was eigentlich genau in der vergangenen Nacht passiert sei.
»Das ist eine komische Geschichte«, antwortete Wilma, »diese Bankräuber sind von zwei unserer Streifenpolizisten festgenommen worden, das heißt, das ist gar nicht das Komische, sondern dass die gar keinen Dienst gehabt haben, das ist irgendwie so nebenher passiert, der eine ist der Kleine, der immer so nett ist...«
Welcher Kleine? Orrie. »Da wird der Kollege Markert aber ein Gesicht machen«, sagte Tamar.
»Wie meinst du das?«, fragte Wilma und schaute sie mit den ernsthaften Augen eines fast schon erwachsenen und sehr aufmerksamen Schulmädchens an.
D rei Kilometer Stau auf der A 8 zwischen Merklingen und Ulm-West, auf der Bundesstraße 10 ein Schwertransporter, der nicht überholt werden kann, Reifenteile auf der Bundesstraße B 27 zwischen Kirchentellinsfurt und Tübingen...
Puck stand auf und schaltete das Radio aus. »Ich muss dir was gestehen«, sagte sie, als sie sich wieder an den Küchentisch setzte.
»Dazu sind Polizeibeamte da, dass man ihnen was gesteht«, meinte Kuttler und schenkte sich Kaffee nach.
»Verarsch mich nicht. Was mach ich bloß, wenn ich der Mamutschka Neumeister über den Weg laufe?«
»Ein liebes Gesicht machst du und sagst guten Tag, und wenn sie ein bisschen heulen muss, muss sie ein bisschen heulen.«
»Willst du mich nicht verstehen?« Puck ließ das Buttermesser sinken und sah Kuttler fast zornig an. »Ich hab ihren Wanja verpfiffen...«
»Gar nichts hast du«, widersprach Kuttler. »Du hast mir bloß erzählt, dass da jemand das Bier in der Handkarre aus dem Supermarkt holen muss. Ist doch nichts dabei, oder? Wird da vielleicht irgendwer diskriminiert? Wenn einer jemanden verpfiffen hat, war ich das. Nur: ich darf so etwas, erstens sowieso, und zweitens war es Mamutschkas Wanja, der mir dieses Eisen über den Kopf gezogen hat.«
»Trotzdem tut sie mir Leid«, beharrte Puck.
Kuttler setzte die Tasse ab, aus der er hatte trinken wollen. »Hör mal – das ist noch das Beste, was allen beiden passieren konnte. Oder allen dreien. In ein paar Wochen hätten die den nächsten Bruch gemacht oder in ein paar Tagen, ich glaub nämlich nicht, dass die im Eschental eine Viertelmillion kassiert haben, irgendwie kann ich das nicht glauben. Und beim nächsten oder übernächsten Mal hätte es vielleicht Tote gegeben, was glaubst du, was das Mütterchen Neumeister dann zu heulen gehabt hätte.«
Puck verzog nachdenklich das Gesicht. »Okay«, sagte sie schließlich. »Was machst du heute?«
»Eigentlich wollte ich mein Auto holen«, antwortete Kuttler. »Und einen Kühlschrank. Aber die Mühe kann ich mir sparen. Das Auto hat sich jetzt noch
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