Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
versucht habe, das Meer hatte nicht einmal 17 Grad, dafür war es so blau wie auf einer Postkarte, die Mimosen blühten, und in der Jugendherberge hatte ich Lynn kennen gelernt, Lynn war rothaarig und hatte die weiße Haut der Rothaarigen und studierte Soziologe oder vergleichende Kulturwissenschaften auf Englisch. Wir saßen in dem Park vor dem Kurhaus, das Kurhaus sieht so aus, als wäre die Zeit stehen geblieben, gleich kommt Peter Lorre als kokainsüchtiger Gestapospitzel um die Ecke, sagte ich, und Lynn machte ein artiges Gesicht und fragte, Peter Lorre was here, indeed?
    Puck: »Und weiter?«
    T: »Nichts. Am nächsten Tag fuhr sie weiter, nach Cannes, und hat mir ihre Adresse gegeben. Aber ich habe ihr nicht geschrieben.« Puck: »Warum nicht?«
    T: »Ich wusste nicht was. Hätte ich ihr schreiben sollen: I hope you had a nice journey to Cannes?«
    Daraufhin meint Puck, ich sei komisch, während ich die Packung Chesterfield aufhebe, sie ist angebrochen und hat keine Steuermarke...
    »Nimm dir ruhig eine«, sagt Puck, »es sind amerikanische.« »Ja, doch«, sage ich und lege die Packung zurück.
    Im Zimmer ist es nun doch sehr warm geworden. »Es ist sehr warm im Zimmer«, sagt Puck auch schon, »findest du nicht?« Sie zieht sich den Pullover aus, und ich sehe, dass sie unter dem T-Shirt keinen BH trägt und dass es jetzt geschehen soll, jetzt und hier in dieser überheizten Dachstube.
    Aber es wird nichts. Ich funktioniere nicht.
    »Das, mein Lieber«, sagt Puck zum Abschied, »das war jetzt wirklich schlechter Sex.«
     
    Sonntag, 1. Dezember
    Das Heim Zuflucht liegt zwischen der Bahnlinie nach Stuttgart und dem Gewerbegebiet Nordwest, ich wusste gar nicht, dass es da noch ein Tal gibt und vereinzelte Häuser darin. Eines davon ist ein lang gestreckter, zweistöckiger gelb gestrichener Bau, mit Fenstern ohne Gardinen. Im Aufenthaltsraum abgetretenes Linoleum, es riecht nach Desinfektionsmitteln und schlechtem Essen. Nebenan gibt es einen eigenen Fernsehraum, und so hört man im Aufenthaltsraum nur den Krach einer Runde abgewetzter Skatbrüder, die sich um Zehntelspfennige kloppen und sich aus Mündern voller Stummel- zähne anschreien, wenn einer sich die Zehn hat blank spielen lassen. Wenn sie zu laut krakeelen, kommt ein Mensch mit nach hinten gekämmten Haaren und einer Brille, die er sich ständig zurückschieben muss, und schreit, dass er gleich den Aufenthaltsraum schließen wird.
    Das HB-Männchen, wie Rolli-Rolf ihn nennt, ist Heimleiter Brauchle, der nicht so recht weiß, was er von einem Besuch halten soll, aber gerade keine Vorschrift zur Hand hat, um mich rauszu werfen. Rolli-Rolf döst in seinem Rollstuhl in einer Ecke, ist aber sofort hellwach, als Juffy mich mit ihm bekannt macht, und kann gar nicht schnell genug zu dem Schrank geschoben werden, in dem neben allerhand vergammelten Heftromanen und einem Mensch-ärgeredich-nicht auch ein angekautes Schachspiel verstaut ist. Mit der einen Hand, die er noch bewegen kann, fuhrwerkt er auf dem Schachbrett herum wie ein Preisboxer, der früher einmal das Handwerk richtig gelernt hat. Er weiß nicht nur, wie eine Schachuhr bedient wird, sondern hat die gängigen Eröffnungen alle drauf. Aber er hat schon lange um nichts anderes gespielt als um einen Fünfer oder eine Flasche Bier. Trotzdem habe ich die größte Mühe, mich in ein Endspiel zu retten und ein Remis zu halten. Die zweite Partie gewinne ich, aber in der dritten erwischt mich ein fürchterlicher Matt angriff, und über das zerknitterte zahnlose Gesicht von Rolli-Rolf zieht sich eine sonnige Heiterkeit, wie ich sie schon lange nicht mehr bei einem Menschen gesehen habe, bis das Grinsen in einem Blitzlicht gefriert, weil der Idiot Juffy seinen neuen Fotoapparat ausprobieren muss und sich dazu genau den Moment aussucht, in dem ich matt gesetzt bin. Die nächste Partie geht Remis aus, dann kommt Juffy und will nach Hause, ich hole Rolli-Rolf – der übrigens Kaminski heißt – noch ein Bier und verabrede mich mit ihm für nächsten Samstag. – Auf der Rückfahrt erzählt mir Juffy, es sei ein Wunder, dass Rolf überhaupt noch lebe, er sei beim Betteln von einem Transporter angefahren und überrollt worden, von einem Gemüsehändler aus dem Bayerischen...
    »Du hast den Namen sicher schon gehört, Simon Rotter, wenn er nicht gerade Kohlköpfe verkauft, wettert er gegen die Umweltverschmutzung.«
    Ich sage, dass ich weiß, wer das ist. Die alte Frau geht regelmäßig auf den Wochenmarkt, und

Weitere Kostenlose Bücher