Uferwald
zwar ausgerechnet wegen Rotter, und manchmal bringt sie Handzettel mit nach Hause, die soll ich dann lesen!
»Jeder weiß, dass er ein berufsmäßiger Choleriker ist, und den Rolli-Rolf hat er vorsätzlich angefahren, aber seine Anwälte haben es so hingedreht, dass es eine Herzattacke gewesen sei.«
Und wer zahlt?
Das weiß Juffy nicht, vermutlich sei es der Steuerzahler, für das Heim Zuflucht komme der Landeswohlfahrtsverband auf, so viel er wisse. Ich meine, Rolli-Rolf hätte ja wohl auch Schmerzensgeld zu bekommen, aber Juffy ist sich da nicht sicher. Das war ein Bettler, sagt er, und Bettler stünden offenbar außerhalb der Rechtsordnung, wenn ihnen etwas zustößt, seien sie selbst schuld, da sich der Rechtsstaat – als eine von den Besitzenden für die Rechte der Besitzenden eingerichtete Organisation – für einen Vermögenslosen logischerweise nicht zuständig fühle.
Keine Ahnung, aber links rausreden.
Samstag, 6. Dezember
Rolli-Rolf ist heute nicht gut drauf, oder liegt es daran, dass konsequentes Stellungsspiel Gift ist für seine Kaffeehaus-Attacken? Irgendwann sagt er, dass er mir jetzt ein Bier zahlen müsse, aber leider befinde er sich momentan in einem Liquiditätsengpass, und ich hole uns aus dem mit einem Stahlgitter gesicherten Automaten zwei Pils, aber ich glaube, es war ein Fehler, denn wie ich ihm die Flasche aufmache und wir uns zuprosten, fragt er mich:
»Du bist doch Rechtsverdreher? Juffy hat es mir gesagt.«
Und er fängt an, mir seinen Fall vorzutragen, und dass er genau wisse, dass er einen Anspruch auf Schmerzensgeld habe und dass die Versicherung des Gemüsehändlers zahlen müsse. Zum Glück kommt einer seiner Kumpel vorbeigekrochen und blickt mich hungrig an, ob er von mir ein Bier schnorren kann, und Rolli-Rolf hat plötzlich sein Schmerzensgeld vergessen und schlägt eine Revanche vor.
Ich will aber nicht allzu lange bleiben, weil für den Abend eine Adventsfeier angekündigt ist, Juffy will neue deutsche Schlager vorstellen, Juffy höchstselbst, sich auf der Gitarre begleitend. Das muss ich mir nicht antun, und so fahre ich zurück, in weiser Voraussicht war ich nicht mit Juffy, sondern mit dem Rad gekommen.
Zu Hause merke ich, dass ich wieder Halsschmerzen habe und wahrscheinlich auch Fieber. Ich gurgle mit dem roten Zeugs, aber es hilft nicht viel.
Montag, 8. Dezember
Am Morgen bei dem HNO-Doktor zwei Stunden gewartet, dann hat er mich im Rachen so gewürgt, dass ich ihm fast die Hand entzwei- gebissen hätte. Er rät mir dringend, die Mandeln herausnehmen zu lassen. Wieso eigentlich? Es ist dieses kalte feuchte Loch in Lustnau, mit dem Schimmel in den Ecken, das mich krank macht. Aber das will dieser Pferdemetzger nicht hören.
Mittwoch, 10. Dezember
Wieder in Ulm. Ich habe das Zimmer gekündigt, obwohl die Dezember-Miete schon bezahlt war. Ohnehin kann ich das Referat für das ZPO-Seminar auch in Ulm ausarbeiten, in der Stadtbibliothek gibt es die wichtigsten juristischen Fachzeitschriften und Urteilssammlungen. Und für den Januar wird schon irgendwo ein Zimmer leerstehen.
Donnerstag, 11. Dezember
Am Vormittag in der Stadtbibliothek, leider kein passendes Urteil gefunden. In einem Schachlehrbuch sehe ich mir die Caro-Cann-Verteidigung an und spiele mit meinem Steckschach ein paar Varianten durch. Eröffnungen kann man nicht einfach nur auf dem Papier studieren. Danach im »Wichtig«, an einem kleinen Ecktischchen sitzen Luzie und Schleicher, was immer sie zu besprechen haben, scheint so wichtig zu sein, dass sie niemanden sonst sehen, das heißt, Luzie sieht niemanden sonst, und Schleicher... Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, dass Schleicher jetzt gerade überhaupt niemanden anschauen will, nicht einmal Luzie, das heißt, sie schon gar nicht... Was weiß ich! Ich tu so, als hätte ich beide nicht gesehen, nehme mir eine Zeitung und suche mir einen Platz weiter weg, am Korridor, mit Blick auf den jetzt leeren Biergarten. Die Halsschmerzen sind besser geworden, und am Nachmittag geh ich ins Hallenbad, ein paar Runden schwimmen.
Kommst du voran? Das will die Alte Frau am Abend wissen, noch immer etwas besorgt, weil ich das Lustnauer Loch gekündigt habe. Und zugleich ist sie irgendwie aufgekratzt, hat frischen Aufschnitt zum Abendbrot besorgt und sogar ein Bund Radieschen, das ist doch wirklich nicht die Jahreszeit dafür.
Sonntag, 14. Dezember
Im Heim Zuflucht von dem HB-Männchen Brauchle freundlich, ja geradezu herzlich
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