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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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begrüßt, er lässt sogleich nach dem Herrn Kaminski rufen, sein Schachfreund sei da! Wie sich herausstellt, liegt Rolli-Rolf die Caro-Cann-Verteidigung aber schon gar nicht. Bei der vierten Partie hat er schwarz, erwidert aber die Eröffnung nicht, sondern schaut sich um. Wir sind allein im Aufenthaltsraum, und er fängt wieder von dem Unfall an und dem Gemüsehändler und dem Schmerzensgeld, das ihm zusteht und das irgendwie nicht hereinkommt. Ob ich wohl den Rechtsanwalt Dann ecker kenne? Der kümmere sich um den Fall, oder vielleicht auch nicht. Zufällig – weil ich oft genug daran vorbeigekommen bin – weiß ich, dass Dannecker seine Kanzlei im Hafenbad hat, für Rolli-Rolf ist das schon etwas, und er meint, als Jurist sei ich doch sozusagen ein Kollege von Dannecker und könnte ihn doch einfach fragen, wie der Fall steht.
    Mal sehen, antworte ich und hätte mir fast auf die Zunge gebissen. Was gibt es da zu sehen! Hochkant rausschmeißen wird mich dieser Dannecker, was sonst.
     
    Montag, 15. Dezember
    Auf dem Weg in die Stadtbibliothek über Luzie gestolpert oder sie über mich, wir scheinen beide nicht sehr erfreut.
    L: »Was machst du hier?«
    T: »Ich geh in eure Stadtbibliothek. Ich will dort etwas eruieren, wenn du weißt, was das ist.«
    L: »Blödmann. Was suchst du in dieser Bibliothek, was du in Tübingen nicht findest?«
    Ich frage zurück, ob sie sich vielleicht die Arbeitsbedingungen im Juristischen Uni-Seminar vorstellen kann? Außerdem erkundige ich mich höflich, ob Luzie vielleicht gerade ihr PMS habe, weil sie heute Morgen so besonders freundlich und liebenswürdig ist.
    L (leichte Rötung im Gesicht): »Das würde jemanden wie dich wohl irritieren, wenn ich es hätte, wie? Das könntest du nicht ab.«
    T: »Muss ich ja auch nicht.« Dabei hätte ich es gut belassen können, aber nein, in einem Anfall von Bosheit füge ich hinzu: »Wirklich nicht. Schleicher muss damit klarkommen. Tut er doch wohl?«
    L (die Rötung ist deutlich dunkler geworden): »Irgendetwas verträgst du nicht. Die ganze Zeit denke ich das schon. Du bist so dane ben, dass du es nicht erträgst, wenn jemand ganz normal seine Ausbildung macht oder studiert und ganz normal eine Beziehung eingeht und ein ganz normales Leben lebt.«
    T: »Du tust mir Unrecht. Ich bin ein ausgesprochener Fan von den ganz Normalen. Du ahnst ja nicht, zu welchen Überraschungen die gut sind.«
    Luzie sagt nichts mehr, sondern schaut mich nur an, irgendwie zornig und empört und verunsichert, wenn man das alles auf einmal sein kann, und ich gehe weiter.
     
    Mittwoch, 17. Dezember
    Am Vormittag bei Rechtsanwalt Dannecker in seiner Kanzlei im Hafenbad meine zwei Stunden gewartet, darunter geht es offenbar nirgends, und ihm dann meinen Spruch aufgesagt: dass ich Jura- Student sei und an einem Referat über den aktuellen Stand der Rechtsprechung zu Fragen des Schmerzensgeldes bei Verkehrsunfällen arbeite und zufälligerweise und in anderem Zusammenhang auf den Fall Kaminski, Rolf gestoßen sei... Dannecker ist ein groß gewachsen er, blonder Mann mit einer vorspringenden Nase und schaut mich aus blauen Augen an, so dass ich nicht weiß, ob er mir überhaupt ein Wort glaubt. Dann erklärt er mir aber recht freundlich, dass er mir zwar keine Akteneinsicht gewähren könne, mich aber gerne über den Stand des Verfahrens in Kenntnis setzen wolle, nur müsse er ganz sicher sein, dass nichts davon nach außen dringe, denn wenn in dem Heim Zuflucht bekannt werde, dass sein Mandant möglicherweise noch Geldbeträge zu erwarten habe, könne dies für ihn sehr nachteilige Folgen haben... Er erzählt mir dann etwas von Gutachten, die noch ausstehen, und dass die gegnerische Versicherung offenbar auf Zeit spiele, in der Erwartung, dass der Herr Kaminski es nicht mehr lange machen werde, aber er, Dann ecker, werde dem schon einen Riegel vorschieben, nur müsse dies alles absolut vertraulich bleiben, so Leid es ihm tue, denn für jeden gerecht denkenden Menschen – und also auch für ihn – sei es eine große Versuchung, den Herrn Simon Rotter, der sonst so gerne das große Wort führe und sich als Menschenfreund aufspiele, in aller Öffentlichkeit als den vorzuführen, der er wirklich sei. Aber die Rücksicht auf seinen Mandanten zwinge ihn, hier sehr behutsam vorzugehen, doch werde er mich gerne verständigen, sobald eine Verhandlung vor dem Landgericht terminiert sei, ob er meine Adresse notieren dürfe?
    Ich gehe dann und denke, so werde ich nie reden

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