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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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denen das Schmerzensgeld für Unfallfolgen berechnet wird. Aber die Fallsammlungen beschäftigen sich damit nicht, oder ich finde wieder einmal nicht die richtigen Entscheidungen. Schließlich schaue ich noch bei den Schachbüchern vorbei und leihe mir eine Sammlung von Aljechins Partien aus. Es dunkelt schon, als ich mit dem Rad zurückfahre, der beißend kalte Gegenwind ist so stark, dass ich zum Michelsberg hochschieben muss. Zu Hause sagt die alte Frau, da sei ein junger Mann da gewesen, »so einer mit einer schwarzen Mähne«, und hätte nach mir gefragt, und sie hätte gesagt, er solle es im GlucksKasten versuchen, ob er mich getroffen habe? Ich nehme an, es war einer aus der Kampfgruppe Stächele, und sage der alten Frau, sie solle keine solchen Auskünfte geben, ohnehin hätte ich den GlucksKasten dick.
    Kratzend setzte die Lautsprecheranlage ein. »Ich bitte den Zeugen Kuttler in den Saal, Zeuge Kuttler bitte in den Saal«, schepperte die Stimme des Vorsitzenden Richters. Kuttler schrak hoch, klappte das Buch zusammen und legte seinen Mantel darüber. Er ging in den Saal, deponierte Mantel und Buch auf dem einen freien Platz in der ersten Sitzreihe, ging weiter vor bis zu dem Stuhl, der für die Zeugen bereitgestellt ist, und diktierte dem Protokollführer seine Personalien: Kuttler, Markus, Kriminalkommissar, 30 Jahre, ladungsfähige Anschrift: Polizeidirektion Ulm, Neuer Bau, im übrigen verneinend...
    Was heißen sollte, dass Kuttler mit den Angeklagten nicht verwandt war und auch nicht wegen Eidesverletzung vorbestraft.

Kuttler braucht einen Espresso
    Harald Treutlein stieg vom Rad und sah sich suchend um, aber den Fahrradständer gab es nicht mehr. Was konnte er anderes erwarten von einer Kneipe, in der Leute wie der Bilch verkehrten! Er sicherte das Rad an der Linde, die an der Einmündung der kleinen Nebenstraße stand und die man – wenigstens das – beim Umbau hatte stehen lassen.
    Dann betrat er das Eastside und wäre am liebsten gleich wieder umgekehrt. Statt des abgetretenen geölten Dielenbodens rötlich-dunkles Tropenholz, statt Tischen und Holzstühlen Sitzgruppen mit schwarzen Lederfauteuils, dazu Tischlampen. Tischlampen! Von irgendwoher tröpfelte Fünfziger-Jahre-Jazz.
    Ein dicklicher Mann winkte ihm zu, das heißt, es war kein Winken, sondern eine irgendwie und vor allem müde angehobene Hand.
    »Na, hat sich doch mächtig in Schale geworfen, der alte GlucksKasten«, sagte Czybilla, als sich Treutlein zu ihm setzte. »Aber wie siehst du eigentlich aus? Hast einen Job bekommen als Fahrradkurier für den Dritte-Welt-Laden?«
    Treutlein beugte sich nach vorne und schlug Czybilla mit dem Handrücken auf den Bauch. »Das wäre dann noch immer besser, als mit dieser Wampe herumzulaufen. Kommst du eigentlich überhaupt noch in eine Frau rein, falls dich eine lassen sollte?«
    »Oh, da sei unbesorgt, ich kann nicht klagen, darüber am allerwenigsten! Und wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.«
    Ein Mädchen in weißer Bluse und einem sehr kurzen, seitlich geschlitzten schwarzen Rock kam. Treutlein bestellte ein Pils und warf dabei einen Blick auf das Glas, das vor Czybilla stand. »Das feine Mineralwasser, wie?«
    Der winkte ab.
    »Wenigstens hast du dein Problem erkannt.«
    Die Tür schwang auf, und Luzie Haltermann stand im Rahmen. Sie sah sich kurz um, ging zur Garderobe, schlüpfte aus ihrem Regenmantel und hängte ihn auf. Sie trug Jeans und darüber einen Pullover. Die beiden Männer sahen ihr zu, dann begegneten sich ihre Blicke.
    Um die Hüften herum hatte auch Luzie ziemlich zugelegt.
    Sie kam an den Tisch, tippte kurz zur Begrüßung auf die Glasplatte und setzte sich. »Schleicher will auch noch kommen.«
    »Und was wird das dann?«, fragte Czybilla. «Ein Tilman-Gossler-Gedächtnisabend? Dabei hab ich ihn nicht ausstehen können. Nie.«
    »Wir müssen uns jetzt nicht darüber unterhalten, wer wen nicht ausstehen kann«, antwortete Luzie nicht ohne Schärfe. »Diese alte Frau ist da allein in ihrer Wohnung krepiert, sie hat keine Angehörigen, aber sie war die Mutter von Tilman, und deswegen gehört es sich, dass wir zur Beerdigung gehen, ich nehme an, sie hat das so angeordnet, dass sie bei Tilman bestattet wird.«
    »Das glaub ich sogar«, meinte Czybilla, »so, wie sie zu seinen Lebzeiten geklammert hat.«
    »Hör mit deinem Zynismus auf«, sagte Andreas Matthes, der unbemerkt an den Tisch getreten war. Er setzte sich neben Luzie und nickte Treutlein zu. »Isolde kommt

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