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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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können, und was ich eigentlich Neues erfahren habe... Nichts habe ich erfahren, merke ich dann, wieder einmal bin ich abgespeist worden wie ein dummer Junge, den man nicht ernst nehmen muss, der sich nicht richtig vorbereitet hat und nicht die richtigen Fragen stellt, weil er nämlich keine Ahnung von nichts hat. Ich laufe blind aus der Kanzlei, die Treppen hinunter, eine Frau kommt mir entgegen, und ich merke noch, dass sie mich anschaut wie einen, der einen Schatten hat...
    Am Nachmittag fahre ich mit dem Rad zum Heim, es ist ziemlich kalt, im Aufenthaltsraum hocken lauter alte, kranke, dünstende Männer, Rolli-Rolf will auch nicht Schachspielen, sondern fragt, ob ich ihn ein bisschen draußen spazieren fahre. Er muss dann ziemlich warm angezogen werden, seit dem Unfall merkt er es nicht, wenn es ihm zu kalt wird. Hinter dem Heim ist ein Tal mit kahlen Bäumen, ich schiebe ihn den Kiesweg hoch, dabei scheuchen wir eine Horde Krähen auf. Als wir schon ziemlich weit vom Heim entfernt sind und sich auch die Krähen wieder beruhigt haben, fragt er mich, ob ich bei Dann ecker war, und ich erzähle ihm von dem Gespräch, betont sachlich tue ich es, kühl, professionell, dass die gegnerische Versicherung offenbar eine Entscheidung hinauszögern wolle, Dannecker aber auf eine Verhandlung dränge, und dann könne es ja gar nicht anders sein, als dass Rolf zu seinem Geld komme.
    Das ist schön, sagt Rolf, ein gutes Gefühl. Aber es sei auch ein gutes Gefühl, einen Kumpel zu haben, dem man trauen kann. Einen, der es blickt. Aber das habe er schon beim Schachspiel gemerkt.
    Wir reden noch lange, auf dem Rückweg kommt uns ein Kleinbus entgegen, obwohl das keine Fahrstraße ist, der Kleinbus blinkt uns an und hält. Es steigt aus der Heimleiter Brauchle und schiebt sich die Brille zurück und ist wieder ganz das HB-Männchen und fährt mich an, was mir einfalle, so lange mit Rolli-Rolf wegzubleiben! Wenn ich mich nicht an die Hausordnung halte, werde er mir den Umgang mit Herrn Kaminski verbieten... Ich versuche, ruhig zu bleiben, und erkläre ihm, dass auch die Bewohner des Heimes Zuflucht nicht wie unmündige Kinder behandelt werden sollten. Das HB-Männchen kommt aber bloß immer mehr ins Schreien und hievt den Rollstuhl samt Rolli-Rolf mittels einer Hydraulikrampe durch die Seitentür in den Kleinbus und blökt, ich hätte Hausverbot, und Rolli-Rolf blinzelt mir zu und sagt gar nichts und lässt sich wie eine Puppe in den Kleinbus verfrachten.
     
    Donnerstag, 18. Dezember
    Am Morgen kurz beim Landgericht vorbei und den Aushang mit den Gerichtsterminen durchgesehen, aber nur einen Termin mit dem Rechtsanwalt Dannecker gefunden, eine Scheidungssache zudem, wie es aussieht: Schöttle vs. Schöttle... Ich glaube, es würde ziemlich blöd aussehen, wenn ich mich dort hineindrücken würde. Und bitte, der Herr da hinten, wer sind Sie? Sind Sie Zeuge? Ich überlege, ob ich zu »Tonio« gehen soll, in das Juristencafé gleich neben dem Landgericht, und weil es doch ziemlich kalt geworden ist, finde ich mich am Tresen wieder und bestelle einen Cappuccino. Das Café, eigentlich nur ein schmaler Schlauch entlang des Tresens, mit kleinen Sitzgruppen an der Wand, ist ziemlich voll, dabei ist es noch nicht einmal später Vormittag, Männer mit Aktentaschen und dem Gehabe einer professionell-lockeren Geschäftigkeit trinken einen eiligen Espresso oder lesen Zeitung oder diskutieren die Tagesnachrichten oder halblaut ihre Verhandlungsstrategie: also werden es Prozessparteien sein, denke ich, deren Fall noch nicht aufgerufen ist. Zu meiner Verlegenheit entdecke ich vorne am Fenster den Graukopf, den ich damals im Zug getroffen habe und der mich jetzt mit einer Handbewegung begrüßt und herüber ruft, ob ich nebenan gerade ein Praktikum mache? Am Tisch mit dem Graukopf sitzt ein Mensch, der schon am Vormittag einen gespritzten Weißen trinken muss und der mich über seine Halbbrille scharf ins Auge fasst, als sei es überhaupt ungehö rig, dass ein solches Greenhorn wie ich sich hier aufzuhalten wagt. Nein, antworte ich, glücklicherweise wolle ich nur einen Kaffee trinken und habe mit dem Bau nebenan gar nichts zu tun. Ich überlege, ob mir der Graue gegebenenfalls etwas über den Rechtsanwalt Dannecker erzählen kann, er scheint auf die eine oder andere Weise zum Justizmilieu zu gehören, aber er hat sich schon wieder dem Weißweintrinker zugewandt.
    In der Stadtbibliothek versuche ich etwas über die Tarife herauszufinden, nach

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