Uferwald
Augenblick, dann ließ sie sich von der Stange herunter, rollte sich auf dem Boden ab und folgte ihr. Gitarren begannen zu klimpern, und Flöten flöteten, was Kuttler verdächtig an Musikabende erinnerte, bei denen studentische Nachwuchsensembles Musik des frühen 15. Jahrhunderts mit zeitgenössischen Instrumenten zu Gehör brachten. Kerstin hatte ihn manchmal zu so etwas mitgeschleppt... Schluss. Was hatte die Frau gerade eben gesagt?
»Die Scherben da draußen auf der Straße«, sagte Kuttler, »sind das die Reste von dem, was Sie geworfen haben?«
«Ich hätte das schon längst aufkehren müssen«, antwortete die Frau. »Ich mach’s auch gleich... Aber deswegen sind Sie doch nicht hier?«
»Was war denn in der Flasche drin?«
»Irgendeine Schaumpampe. Eine Witwe vielleicht. Verstehen Sie, der Kerl kommt hier rein und winkt mit dem Schampus und redet schmierig von irgendeinem Kredit, und ich soll... Jannie – was ist?«
Das Mädchen war hereingekommen und hatte sich neben Kuttler gestellt. »Gibst du mir deinen Schuh?«
»Bitte?«
»Gibst du mir deinen Schuh? Nur einen.«
»Jannie«, sagte ihre Mutter, »das geht nicht.«
»Nur den einen.«
Plötzlich begriff Kuttler. »Aber es muss der linke sein, nicht wahr?« Zum Glück hatte er heute Morgen geduscht und frische Socken angezogen. So konnte er seinen linken Schuh ausziehen und ihn Janina geben, die damit zur Reckstange rannte und sich hinaufschwang, den Schuh in der Hand wie eine Trophäe.
»Ja«, sagte ihre Mutter, »und da hab ich den Kerl halt hochkant rausgeschmissen und den Schampus hinterher, und womöglich hab ich ihn am Kopf getroffen und jetzt...«
»Entschuldigen Sie«, sagte Kuttler, »aber deswegen bin ich gar nicht hier. Ich weiß auch nichts von einer Anzeige, sie wäre auch kaum bei mir gelandet...« Kuttler, mach dich nicht wichtig. »Ich wollte Sie fragen... Erinnern Sie sich an Tilman Gossler?«
Ihr Gesicht blieb unverändert, nur ihr Blick schien anders zu werden, fast starr.
»Das ist seltsam«, antwortete sie nach einer Weile. »Seine Mutter ist gestorben. Der Bilch, das ist der Kerl von gestern Abend, hat es mir erzählt. Aber warum ist das ein Fall für die Polizei?«
»Sie haben meine Frage nicht beantwortet.«
»Ach so...« Sie richtete sich auf und sah Kuttler ins Gesicht. »Natürlich erinnere ich mich an Til. Er ist in der Neujahrsnacht vor sieben Jahren ums Leben gekommen. Ich war... wir waren eine Clique, kannten uns seit der Grundschule, auch wenn ich dann nicht mehr richtig dazugehört habe, die anderen haben studiert, und das Eastside, das damals GlucksKasten hieß, war ihr Stammlokal, manchmal hab ich dort bedient...«
»Auch in der Neujahrsnacht?«
»Ja, sicher«, antwortete sie, fast abwesend. »Ich hab das damals auch der Polizei erzählt. Die kam gegen Mittag, als wir beim Aufräumen waren, und ich hab gesagt, dass ich gesehen habe, wie er gegangen ist, ich meine, wie er den GlucksKasten verlassen hat... Aber es war doch ein Unfall?«
»Gewiss doch«, sagte Kuttler. »Ein Auto hat ihn angefahren, und so etwas nennt man einen Unfall.«
Sie sah ihn prüfend an, den Kopf ein wenig schief gelegt. »Das klingt komisch, wie Sie das sagen.«
»In der Clique hießen Sie doch Puck? Wie kamen Sie zu dem Namen?«
Sie hob leicht die Augenbrauen. »So was interessiert Sie? Das hat ein Englischlehrer aufgebracht.« Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht, eigentlich ist es kein Lächeln, dachte Kuttler, sondern eine anmutige kleine Grimasse. »Ein Puck ist ein Kobold. Angeblich bin ich einer.« Die Grimasse verschwand. »Woher wissen Sie das überhaupt?«
Kuttler ging nicht darauf ein. »Kannten Sie eine junge Frau, die Solveig hieß? Solveig Wintergerst?«
»Wer soll das sein?«
»Kannten Sie sie?«
»Der Name sagt mir nichts. Winter... wie?«
»Hatte Tilman Gossler jemals von einer Solveig gesprochen?«
»Ich sagte Ihnen doch, dass mir der Name nichts sagt.«
Ich bin in der Sackgasse, dachte Kuttler. Puck hatte bedient, was soll sie da von den Gesprächen am Stammtisch mitbekommen haben! »Hatte Tilman Gossler in jener Nacht getrunken?«
»Eher weniger als sonst.« Plötzlich wurde ihr Blick misstrauisch. »Aber das müssten Sie doch eigentlich wissen.«
»War er irgendwie anders als sonst?«
»Es war die Nacht auf Neujahr, die soll doch etwas Besonderes sein, glauben Sie nicht? Und Tilman... also Til war schon immer ein bisschen anders als die anderen.« Sie blickte auf.
»Nicht, was Sie jetzt
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