Uferwald
da ist?«
Brötchen antwortete nicht. Hinter der Stufe vor dem Reihenhaus blähte sich die Zeitungsseite auf und flog in hohem wirbelndem Bogen über die Gasse, bis sie aus dem Blickfeld verschwand. Aus dem Parkdeck kam ein jüngerer Mann, er trug Jeans und eine Tweedjacke und sah irgendwie nicht aus, als ob er arbeitslos sei. Brötchen trat einen Schritt vom Fenster zurück. Der Mann ging zu dem Haus, vor dem die Scherben lagen, und klingelte.
Es dauerte eine Weile, bis ihm aufgemacht wurde.
»Was hast du?«, fragte Wanja.
»Nichts«, sagte Brötchen und wandte sich um. »Was bedeutet das, wenn sie eine solche Kommission machen? Holen sie da die Bullen von überall her?«
D er Türöffner hatte zu summen begonnen, ohne dass jemand nach Kuttlers Anliegen gefragt hätte. Er drückte die Tür auf, rechts davon war eine kleine Garderobe, voll gehängt mit Kinderanoraks, dazwischen ein schwarzes Cape. Geradeaus ging es in einen engen Flur, der zu einer Treppe führte. Auf der Treppe stand ein dickes kleines Mädchen mit abstehenden blonden Zöpfen. Drei Jahre? Mochte sein.
»Janina?«, fragte Kuttler. »Du hast sehr schöne Zöpfe.«
»Scheißzöpfe«, antwortete das Mädchen. »Jannie is oben.« Sie blieb auf der Stufe stehen, drückte sich aber an die Wand, als ob der Besucher sonst nicht vorbeikäme. Ein zweites Mädchen erschien oben, es war im gleichen Alter, aber nicht so dick wie das andere und hatte langes dunkles Haar.
»Guten Tag«, sagte Kuttler, so artig, wie er dachte, dass manmit dreijährigen Mädchen sprechen sollte. »Dann bist also du die Janina.«
Er stieg die Treppe hoch, aber bevor er oben war, drehte sich Janina um und lief zu einer offenen Tür, zwischen deren Rahmen eine Reckstange eingepasst war. Sie hängte sich daran, schob die Beine über die Stange und knickte sie ein, so dass sie sich mit den Kniekehlen halten konnte, und hing kopfüber von der Stange herunter, dass die dunklen Haare sich auf dem Boden ausbreiteten.
»Ja, bitte?« Aus einer zweiten Tür war eine Frau gekommen, sie war kleiner als Kuttler, hatte kurze dunkle Haare und kräftige Hüften und eine schmale Taille. Warum ist das wichtig, dass sie eine schmale Taille hat?, überlegte Kuttler und stellte sich vor. Markus Kuttler, Kriminalbeamter, hier meine Karte, ich spreche mit Frau Angelika Falter?
»Ich dachte, Sie seien Rosies Mutter«, sagte sie und wollte die Karte gar nicht erst lesen. »Hat der Saukerl mich angezeigt? Ich wusste gar nicht, dass für so was gleich die Kripo kommt...«
Er? »Warum hätte er Sie denn anzeigen sollen?«, fragte Kuttler.
»Nun kommen Sie halt rein«, sagte Angelika Falter und ging ihm voran in ein winziges Wohnzimmer. Kuttler stieg über ein Dreirad und wurde an einen braun gebeizten Tisch mit Holzstühlen gebeten, die so aussahen, als seien sie schon vor achtzig Jahren gebraucht gekauft worden. An der Wand gegenüber stand eines von diesen Selbstbau-Regalen, Fichte naturbelassen, einige Bücher darin und ein CD-Rekorder, am obersten Brett hingen zwei Marionetten, ein glutäugiger Kasperl und eine dralle Gretl. Das Zimmer war hell, mit weißer Raufaser tapeziert, die Stellen, an denen die Tapetenbahnen zusammenstießen, begannen sich bräunlich zu verfärben. Die leuchtend gelben Vorhänge machten den Tag freundlicher, als er draußen war.
»Hab ich ihn wirklich so schlimm getroffen?«, fragte die Frau. Wen getroffen und warum? Und wieso zwei Kinder?, dachteKuttler, als er an dem Tisch Platz nahm. Vermutlich gehört das eine einer Freundin, oder das Reihenhaus ist überhaupt von einer kleinen WG angemietet. Ohne dass er es beabsichtigt hätte, saßen sie sich so gegenüber, dass das Licht von draußen auf ihr Gesicht fiel. Ihre Augen waren grünbraun, und auch ihr Mund fiel ihm auf, er war klein, aber die Lippen waren voll und schön geschwungen... Kuttler!, rief er sich zur Ordnung, was tut das zur Sache! Das blonde Mädchen hatte sich neben dem Tisch aufgebaut, einen Teddy in der Hand, Janina hing noch immer kopfüber von der Reckstange. Die junge Frau sah sich suchend um, dann entdeckte sie schließlich unter einem Kinderbuch die Fernbedienung für ein Fernsehgerät. »Magst du die Geschichte vom Eulenspiegel angucken?«, fragte sie das blonde Mädchen. »Die Kassette ist schon eingelegt.«
Das Mädchen nahm – etwas zögernd, wie es Kuttler schien – die Fernbedienung und trollte sich an Janina vorbei in das Zimmer mit der Reckstange. Janina wartete noch einen
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