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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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vielleicht meinen. Er war unberechenbar oder manchmal einfach launisch.«
    »Waren Sie mit ihm befreundet?«
    »Wir waren eine Clique.«
    »Das ist nicht das Gleiche.«
    Wieder hob sie die Augenbrauen. »Richtig. Aber ich weiß nicht, ob ich mit ihm befreundet war. Wie soll man mit jemandem befreundet sein, der sich selbst nicht leiden kann?«
    »Wissen Sie noch, ob an jenem Abend noch jemand anderes in die Kneipe kam, der zu Gossler wollte?«
    »Mein Gott, keine Ahnung. Das ist alles schon so lange her. Und was denken Sie, wie es in der Neujahrsnacht zuging?«
    »War in der Clique etwas anders als sonst? Gab es einen Streit?«
    »Die stritten sich eigentlich immer.« Sie stand auf, ging zu dem Regal an der Wand und kam mit einer Packung Zigaretten wieder. »Stört es Sie?«, fragte sie und bot Kuttler die Schachtel an. Nein, danke, sagte er höflich, er habe sich das Rauchen abgewöhnt, aber es störe ihn nicht.
    »Der Kerl, der gestern da war«, sagte sie schließlich, als sie sich eine Zigarette angezündet hatte. »Das war einer aus der Clique. Bilch nannten wir ihn. Mit solchen Leuten kann man sich doch nur streiten...«
    »Und wie heißt er richtig?«
    »Czybilla, Manfred. Der Banker Czybilla. Spekuliert schon am frühen Morgen an der Börse in Tokio und nachts in New York. Haben Sie noch nie von ihm gehört?«
    Leider nicht, meinte Kuttler. Ob das eine Bildungslücke sei?
    »Angestellt ist er bei der Handels- und Gewerbebank. In irgendeiner ihrer Filialen.« Angelika Falter schaute ihn an, und beide lachten.
    »Noch einmal zu Tilman Gossler.« Kuttler blickte zu dem Kind, das auf der Reckstange halb saß und halb balancierte. »Dass Sie beide eine engere Beziehung eingehen – das stand nie zur Diskussion?«
    Das Gesicht der Frau blieb unbewegt. Sie betrachtete die Zigarette in ihrer Hand und den Rauchfaden, der vom glühenden Ende hochstieg. Aus dem Kinderzimmer drang das Geschrei, das Schauspieler machen, wenn sie eine schreiende Menschenmenge darstellen sollen.
    »Hey, du«, übertönte Janina das Geschrei, »ich hab deinen Schuh, willst du nicht deinen Schuh holen?« Sie winkte mit Kuttlers Schuh, er sah zu ihr hin, sie grinste und kippte dabei nach hinten und verlor das Gleichgewicht und plumpste auf die Matratze, die vorsichtshalber unter der Reckstange ausgelegt war. Ihre Mutter sprang hoch und stürzte zu ihr, auch Kuttler stand auf, das Mädchen lag zunächst bewegungslos auf der Matratze, dann schrie sie gellend und hörte eine ganze Weile nicht mehr auf damit. Na ja, dachte Kuttler, sammelte seinen Schuh ein und zog ihn wieder an, wenigstens ist sie nicht bewusstlos, vielleicht hat sie sich auch überhaupt nicht wehgetan und schreit nur der Mutter zuliebe.
    Angelika nahm ihre Tochter auf den Arm, allmählich beruhigte sich Janina wieder und ließ sich schließlich neben das blonde Mädchen vor den Fernseher setzen.
    Schließlich wandte sich Angelika wieder Kuttler zu. »Tut mir Leid, aber was hatten Sie gerade noch einmal wissen wollen?«
    Kuttler sah sie nur an. Das weißt du ganz genau, dachte er.
    »Ach ja«, sagte sie und ging wieder ins Wohnzimmer. Dann drehte sie sich um. Kuttler war ihr gefolgt. »Sie wollten wissen, ob ich mal mit ihm gebumst hab. Nein. Ja, ich hatte mal Lust. Er hatte mich blöd angeredet, und ich dachte, dem werde ich’s zeigen. Aber es hat nicht geklappt.« Sie lächelte, das Lächeln schien ein wenig traurig. »Zum Glück hat es nicht geklappt. Außerdem...« Dann schüttelte sie den Kopf. »Es wäre nichts draus geworden, verstehen Sie?«
    Die Klingel schlug an, und das blonde Mädchen rannte aus dem Kinderzimmer. »Rosies Mutter«, erklärte Angelika, »sie kommt, sie abzuholen.« Sie ging zum Regal und schrieb etwas auf einen Notizblock. »Wenn Sie noch Fragen haben, rufen Siemich halt in Gottes Namen an.« Sie gab ihm den Zettel. »Meine Handy-Nummer.«
    Kuttler dankte und steckte den Zettel in seine Brieftasche. »Im Augenblick wollte ich eigentlich nur wissen, ob Sie mir sagen können, wer Tilman Gossler näher gekannt hat?« Dann zog er, wie um sich zu revanchieren, eine seiner Visitenkarten aus der Brieftasche und hielt sie ihr hin.
    Zögernd nahm sie die Karte, und für einen Augenblick schien ihm, als ob sich in die grün-braunen Augen ein Glimmen von Spott mischte. »Sprechen Sie doch mit den Treutleins, mit Isolde und Juffy, die waren oft mit Til zusammen.«
    Das kleine dicke blonde Mädchen wurde von einer großen dicken blonden Frau abgeholt, die Kuttler

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