Uferwald
sich selbst drum kümmern.«
»Aber es sind meine Nerven«, sagte Tamar, »und deswegen entsorgst du entweder diesen Kühlschrank oder diese Frau.«
»Ist gut«, sagte Kuttler. »Was ist eigentlich los in diesem Laden?«
Tamar sah auf. »Ach so, du hast noch keinen Flurfunk gehört? Wir haben frohe Botschaft aus Stuttgart. Kriminalrat Englin bleibt uns erhalten. Die vakante Polizeidirektion Friedrichshafen wird mit einem Freiherrn von Ratzenried-Mümmelstein besetzt.«
Kuttler legte den Kopf schief. Freiherr von Ratzenried-Mümmelstein? Kein Mensch hieß so, nicht einmal im baden-württembergischen Innenministerium. Also handelte es sich um den Freiherrn von Greiffenrath, Referatsleiter im Innenministerium, Polizeifachhochschule, Jura-Studium, Yale-Stipendium, Mitgliedim Landesvorstand der Jungen Staatspartei und unverhofft ein Versorgungsfall geworden, nachdem sein bisheriger Chef in den Vorstand der im Landesbesitz befindlichen Glottertal-Brauerei aufgestiegen war. Klar, dachte Kuttler, keine Chance für Englin. Adieu, die Empfänge bei seiner Königlichen Hoheit im Schloss Hofen. Schade um die Schiffspartien auf dem sommerlichen Bodensee, die brausende Fahrt mit den Schnellbooten der Wasserschutzpolizei. Verweht der gepflegte Smalltalk mit den Polizeichefs aus Vorarlberg und Bayern und der Schweiz auf dem grünen Rasen des Schlosshotels Bad Schachen...
»Und wir behalten Englin bis zu seiner Pensionierung«, fasste Tamar den unausgesprochenen Gedankengang Kuttlers zusammen.
Das Telefon klingelte. Kerstin!, dachte Kuttler, holte tief Atem und meldete sich.
»Herr Kuttler, guten Tag, schön, dass ich Sie direkt am Apparat habe«, sagte eine Stimme, die Kuttler irgendwie bekannt vorkam, »mein Name ist Dannecker, wir haben uns erst gestern kennen gelernt, ganz im Guten, ich hoffe, das wird so bleiben...«
Kuttler atmete kurz durch und gab seiner Stimme so viel verbindlichen Klang, wie es gerade möglich war. Was er für Dannecker tun könne?
»Oh! Sie scherzen«, kam es durchs Telefon, »ich glaube, eher kann ich etwas für Sie tun. Sie waren heute Vormittag im Heim Zuflucht, nicht wahr? Sie sehen, nichts entgeht mir oder nur wenig, ich bin nämlich Justiziar des Heimes oder genauer gesagt: des Trägervereins...«
»Der Herr Brauchle sagte mir das.«
»Ja, und deswegen wollte ich Ihnen sagen, dass Sie sich gerne an mich wenden können, in allen Fragen, die Sie das Heim betreffend haben, obwohl« – die Stimme wurde noch etwas jovialer – »obwohl unsere Klienten, ganz offen gesagt, einfach nicht mehr das Potential haben, für ein Dezernat I interessant zu sein, aber...«
Schluss, dachte Kuttler. »Ich interessiere mich für Tilman Gossler. Er ist im Alter von 23 Jahren in der Neujahrsnacht 1999 ums Leben gekommen. Es haben sich Erkenntnisse ergeben, dass hier...« – er suchte nach einem für den Augenblick ausreichend unpräzisen Ausdruck, und während er suchte, sah er plötzlich, dass ihm Tamar zuhörte, sehr wach, sehr aufmerksam und überhaupt nicht einverstanden –... »dass hier noch Fragen offen sind. Ich habe gehofft, über eine davon mit einem gewissen Rolf Kaminski sprechen zu können, mit dem Gossler befreundet war. Leider ist Kaminski tot, ich bedauere das sehr.«
»Wie – sagten Sie – war der Name des jungen Mannes?«
»Gossler, Tilman. Ein Jurastudent. Vielleicht haben Sie auf die eine oder andere Weise seine Bekanntschaft gemacht.«
Am anderen Ende der Leitung war ein unfrohes Lachen zu hören. »Leider habe ich nicht als Repetitor gearbeitet. Auch sagt mir der Name überhaupt nichts. Kaminski allerdings war mein Mandant, und so wüsste ich gerne, welcher Art der Kontakt zwischen diesem jungen Mann und ihm gewesen ist?«
»Die beiden spielten gelegentlich Schach, und der Jurastudent Gossler scheint sich für das Verfahren um Kaminskis Schmerzensgeld interessiert zu haben. Das Verfahren war wohl damals anhängig.«
»Interessant«, sagte Dannecker. »Wirklich interessant. Da laufen Leute herum und interessieren sich für einen Zivilprozess, aber den damit befassten Anwalt scheint niemand einer Befragung für würdig zu halten. Sie verstehen meine Verwunderung?«
»Ich wäre schon noch zu Ihnen gekommen«, antwortete Kuttler.
»Sie wären schon noch gekommen! Zu gütig. Und was würden Sie von mir wissen wollen, wenn Sie geruhen sollten, zu mir zu kommen?«
Kuttler verzog das Gesicht. Du Affe! »Ganz einfach. Ich würde gerne wissen, welches Ergebnis dieses Verfahren gebracht
Weitere Kostenlose Bücher