Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
Geräusch. Es war ein Kichern. »Gehen Sie nie auf den Wochenmarkt? Ich schon. Seinen Stand hat der Rotter Simon ganz vorne an der Platzgasse. Und wenn Sie ihn anschauen – der ist ganz munter und kregel. Jedenfalls für einen, dem man von Rechts wegen mit dem Traktor über den Ranzen hätt fahren sollen.«
    »Und wo ist das Geld geblieben?«
    Jakubeit beugte sich nach vorne, über die Handschuhablage. Aber sie war leer.
    »So geht das nicht«, sagte Tamar und fuhr auf einen freien Parkplatz. In ihrem Geldbeutel waren noch ein paar Münzen, sie zählte fünf Euro ab und legte sie in das Handschuhfach. »Ende der Fahnenstange.«
    »Da drüben«, meinte Jakubeit und deutete über den Platz, »wäre die Volksbank, da könnten Sie sich was aus dem Automaten ziehn.«
    »Nein.«
    »Nur noch ein Zwanziger, ich nehm auch Briefmarken...« »Sie nehmen den Fünfer und reden oder steigen aus. Was glauben Sie, wie es auf meinem Bankkonto aussieht?«
    Jakubeit schwieg. Tamar wartete.
    »Ich war ja damals nicht im Heim«, sagte Jakubeit, »das hab ich Ihnen ja schon gesagt. Aber ich hab gehört, der Rolli-Rolf hat da so ein Kerlchen aufgetan, einen ganz jungen, aber auch so schlau, sie haben oft Schach zusammen gespielt. Und das Kerlchen wollte sich drum kümmern, das haben die anderen erzählt. Und wissen Sie, was passiert ist?« Wieder beugte er sich nach vorne und schob die Münzen missmutig in der Ablage hin und her.
    »Mehr gibt es nicht«, sagte Tamar, legte den Gang ein und fuhr wieder los.
    »Dem Kerlchen ist das Gleiche passiert wie dem Rolli-Rolf. Irgendeiner hat es kaputtgefahren. Bloß war es gleich tot.« »Und das Geld?«
    »Weiß nicht«, antwortete Jakubeit. »Es war keine Rede mehr davon. Und der Rolli-Rolf hat schon gar nichts mehr gesagt. Der hat nur noch in seinem Rollstuhl gesessen und gewartet.«
    »Worauf?«
    »Dass er die Lungenentzündung kriegt. Oder dass ihn einer den Abhang runterrollen lässt. Irgend so etwas.« Jakubeit zeigte nach vorne zur Straßenseite. »Lassen Sie mich da raus. Beim Postamt.«
     
    H arald Treutlein schäumte die Milch für den Kaffee auf. In einem italienischen Fachgeschäft hatte er dafür einen kleinen, von einer Batterie betriebenen Quirl bekommen, man musste sich nur ein wenig umsehen, dann konnte man wirklich hübsche Dinge finden. Und zu einem richtigen Café crème gehörte aufgeschäumte Milch, da durfte ihm niemand etwas erzählen.
    Er richtete das Tablett mit den beiden Kaffeeschalen her und fand auch noch ein paar von den Diätkeksen, Isolde bestand darauf, dass sie beide etwas mehr auf ihr Gewicht achten müssten. Das Tablett brachte er in den Wintergarten, den er im letzten Frühjahr an die Südseite des Hauses angebaut hatte, alsodie Fundamente hatte er nicht selbst gelegt, und auch die Dichtungen waren vom Fachmann gemacht worden, aber sonst war es sein Wintergarten. Und diese stille halbe Stunde – genau 30 Minuten Mittagsschlaf waren mit den Kindern ausgehandelt, und daran hielten sich auch alle – gehörte zu den schönsten Augenblicken des Tages.
    Er stellte das Tablett auf dem Glastisch ab, setzte sich in den Korbstuhl und legte die Füße auf den Schemel davor. Isolde lag auf der kleinen Chaiselongue und hatte sich in eine Wolldecke gehüllt. Schlief sie? Treutlein wusste, dass er seine Frau nach der Schule in Ruhe lassen musste, sie hatte eine von den Grundschulklassen mit diesem schrecklich hohen Anteil an Ausländerkindern, manchmal hatten sie schon überlegt, ob sich Isolde an eine Privatschule bewerben sollte, aber die waren alle entweder kirchlich oder strikt anthroposophisch, und das eine wie das andere waren nicht Isoldes Ding.
    »Also, wie war die Beerdigung?«, fragte sie und griff nach der Kaffeeschale.
    »Keine Beerdigung«, antwortete Treutlein. »Man hat sie eingeäschert, und die Asche kommt zu Tilman ins Grab.«
    »Das kommt aufs Gleiche raus«, meinte Isolde. »Hat Luzie alles fest im Griff gehabt?«
    »Du kennst sie ja.« Treutlein lachte kurz auf. »Ich glaube, sie hat sogar den Pfarrer eingeschüchtert. Irgendwie kam er mir ganz depressiv vor. Es waren dann doch ein paar Leute gekommen, der türkische Schneider und seine Tochter, und bis auf dich die ganze Clique von damals, sogar Puck war da und der Bilch...«
    »Schon deswegen bin ich froh, dass ich nicht dort war.« »Versteh ich nicht«, meinte Treutlein.
    »Du musst nicht alles verstehen.«
    Treutlein nahm einen Schluck vom Milchkaffee, der heiß war und kräftig. »Und der

Weitere Kostenlose Bücher