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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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haben? Hat man getanzt? Hat man...« – Kuttler schien nachzudenken – »Blei gegossen? Karten gelegt?«
    Noch immer sah ihn Isolde Treutlein auf diese Weise an, teils befremdet, teils verständnislos. »Das ist sieben Jahre her... im Einzelnen weiß ich das nun wirklich nicht mehr so genau.«
    »Doch«, sagte Kuttler leise. »Til ist in jener Nacht gestorben. Ich glaube Ihnen nicht, dass Sie sich nicht daran erinnern, was in dieser Nacht passiert ist. Sie haben nicht einmal sein Geburtsdatum vergessen.«
    »Ist das ein Verhör?«
    Kuttler antwortete nicht.
    »Getanzt haben wir sicher nicht. Das haben wir nie. Nicht in der Clique.«
    Ihr Ausdruck hatte sich verändert. Kuttler hatte plötzlich das Gefühl, er laufe gegen eine Wand.
    »Haben Sie sich gestritten?«
    »Nein, warum auch? Gekabbelt, ja. Vermutlich. Wie sonst auch.«
    Kuttler holte sein Notizbuch aus der Jackentasche. »Wann ist Tilman gegangen?«
    »Gegen drei Uhr morgens.«
    »War er allein?«
    »Ich wüsste nicht, wer ihn begleitet hätte. Ich glaube, niemand sonst war damals mit dem Fahrrad da.«
    Kuttler trug kurze Stichworte ein oder gab vor, es zu tun. »In welcher Verfassung war Tilman, als er ging? War er angetrunken? Aufgekratzt? Fröhlich?«
    »Angetrunken. Weder aufgekratzt noch fröhlich. Wie immer, wenn wir uns getroffen hatten.«
    Kuttler ließ das Notizbuch sinken. »Solveig war nicht gekommen?«
    Für einen Augenblick schwieg sie. Ihr Mund verzog sich ein wenig, abschätzend, abschätzig, Kuttler konnte es nicht genau einordnen.
    »Nein.«
    »Sie sind sicher?«
    Sie zeigte ein kurzes knappes Lächeln. »Til wäre es nicht verborgen geblieben. Und das wiederum wäre mir nicht verborgen geblieben.«
    »Tilman war mit ihr befreundet?«
    »Ich weiß überhaupt nichts über die beiden«, antwortete Isolde, und ihre Stimme zog etwas an, als wolle sie ihrer Klasse eine Warnung zukommen lassen, »aber befreundet ist jedenfalls der falsche Ausdruck. Ich habe diese Frau nur ein- oder zweimal gesehen, und ich weiß, dass Til sehr an ihr interessiert gewesen ist. Was daraus geworden ist, weiß ich nicht.«
    »Und wo sich diese Solveig aufhält...«
    »Weiß ich nun schon gar nicht, wirklich nicht, ich bin die Letzte, die sich für sie interessieren würde... Wollen Sie nicht doch einen Kaffee?«
    Noch einmal lehnte Kuttler ab.
    »Ja, dann«, meinte Isolde Treutlein. »Ich sollte mich auch allmählich an meinen Schreibtisch setzen...«
    »Ich hab Sie schon zu lange aufgehalten«, sagte Kuttler und erhob sich. «Nur eine Frage noch. Wir sprachen vorhin von den nick-names... Manfred Czybilla ist Bilch, nicht wahr?«
    Isolde Treutlein sah ungläubig zu ihm hoch. »So etwas brauchen Sie für Ihre Ermittlungen?«
    »Aber mit Bilch ist Czybilla gemeint?«
    »Können Sie mich nichts anderes fragen?«
    »Sie reden nicht gern von ihm, nicht wahr?« Kuttler notierte etwas, oder vielmehr tat er so. »Und er ist der Grund, warum Sie nicht zu der Trauerfeier gegangen sind?«
    »Vielleicht ist Ihnen entgangen, dass ich Lehrerin bin. Ich muss Schule halten. Ich kann nicht...«
    »Es ist noch immer diese Geschichte im Kleinen Lautertal, nicht wahr?«
    Nun stand auch sie auf und stützte sich dabei mit der Hand auf die Lehne der Chaiselongue. Sie betrachtete ihn, wobei ihre Augen schmaler und angespannter schienen als zuvor. »Wovon reden Sie?«
    »Von dem Ausflug zur Ruine«, fuhr Kuttler fort. »Als Tilman Sie mit Czybilla allein ließ.«
    »Das ist eine Geschichte, die niemand etwas angeht«, sagte Isolde heftig. »Ich habe mit niemand darüber gesprochen. Sie können davon gar nichts wissen... es sei denn... aber wozu erzählt Ihnen Czybilla so etwas? Was für einen kleinen, miesen Trick hat er vor?«
    »Also mit Herrn Czybilla«, sagte Kuttler und steckte das Notizbuch ein, »habe ich noch gar nicht gesprochen.« Sein Blick kehrte zu ihr zurück. »Es kann sein, dass ich Sie noch einmalaufsuchen muss. Und rufen Sie mich an, wenn Ihnen noch etwas zu dieser Neujahrsnacht einfällt.« Er zog eine Brieftasche aus seiner Jacke, nahm eine Visitenkarte heraus und reichte sie ihr. »Wir möchten die letzten Stunden von Tilman rekonstruieren, so genau es eben möglich ist.«
     
    D ie Praxis lag in einem Altbau mit hohen Fenstern, die zur Straße hin mit doppelten Scheiben abgeschirmt waren. Das Arztzimmer war mit verglasten Regalen aus Mahagoni und einem schweren dunklen Schreibtisch möbliert, außerdem mit einer Liege, die mit rissigem braunem Leder überzogen war.

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