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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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einen Cent oder Pfennig gesehen. Ist es richtig, dass dieses Geld zu dem Zeitpunkt, an dem es für den Trägerverein verbucht wurde, bereits verbraucht war?«
    »Was sagen Sie da?« Dannecker saß noch immer sehr aufrecht, die beiden Hände auf den Tisch vor sich gelegt. Er muss seine Hände ruhig stellen, dachte Tamar, sie zittern sonst.
    Armbruster lehnte sich zurück und sah Dannecker ins Gesicht, als wolle er den Ausdruck von dessen Augen studieren. »War es nicht sogar so«, fragte er, und seine Stimme klang weich, freundlich, verständnisvoll, »dass das Geld bereits verbraucht war, als Rolf Kaminski noch lebte?«
     
    D ie Tür des Krankenzimmers öffnete sich, es schob sich herein ein dicker Mensch in Jeans, die so wenig zu seinem Bauch passen wollten wie zu dem blauen Blazer, dem gestreiften Hemd und der rotgoldenen Krawatte. Außerdem hatte er eine in Geschenkpapier eingewickelte Flasche in der Hand.
    »Das sind ja doch Sie!«, sagte Manfred Czybilla fröhlich, ging zu Kuttlers Bett und nickte dem Patienten nebenan zu. »Unter Ihrem Turban hätte ich Sie fast nicht erkannt.« Kuttler verzog missmutig das Gesicht. So viel er wusste, hatte er eine Platzwunde oberhalb der Schläfe. Das hätte man nähen können und fertig! Aber nein...
    Er brachte ein »nett!« heraus und reichte Czybilla die Hand. Als er einen kräftigen Händedruck versuchte, tat es absurder Weise nicht in der Hand, sondern rechts oben unter seiner Schädeldecke weh. Czybilla hielt ihm die Flasche hin, sie war unter dem Geschenkpapier dickbauchig und sah nach einem Kognak aus.
    »Sehr freundlich«, sagte Kuttler, »aber es geht nicht. Darf ich nicht annehmen, kann ich nicht annehmen.«
    »Hattattat«, sagte der Patient nebenan, protestierend. Czybilla sah auf und begriff sofort. »Auch recht.« Er ging ans andere Bett und war die Flasche sofort los. »Vielleicht können Sie’s ja gemeinsam leer machen, vielleicht nicht auf einmal, das wäre für den Kopf nicht so gut.«
    Er kehrte zu Kuttler zurück und grinste. »Sie müssen entschuldigen, dass ich Sie hier einfach so überfalle. Aber Sie hatten mich ja sprechen wollen und waren auch zu mir gekommen, wie der Prophet zum Berg, aber weil dann ja was dazwischengekommen ist, so kommt jetzt eben der Berg zum Propheten.«
    Du hast mir gerade noch gefehlt, dachte Kuttler. Aber es ist in Ordnung. Es ist sogar gut so. Er schwang vorsichtig die Beine aus dem Bett und stellte sie auf den Boden und setzte sich noch vorsichtiger auf, denn noch immer wurde es ihm schnell schwindlig. Dann stand er behutsam auf, lehnte aber nachdrücklich die Hand ab, die ihm Czybilla reichen wollte.
    »Sie müssen wegen mir nicht aufstehen!«
    »Das ist mir sogar ein sehr willkommener Anlass«, erwiderte Kuttler und zog den Bademantel an, den ihm Tamar gestern gebracht hatte. Es war ein graublauer Bademantel des Kampfsportclubs Penthesilea Ulm, eines Clubs, der – wie Kuttler durchausklar war – ausschließlich von Frauen besucht wurde. Er musste darin und in seinem Turban schon sehr merkwürdig aussehen. Aber es störte ihn nicht. »Gehen wir einen Kaffee trinken?«
    Der Weg zum Fahrstuhl war kein Problem, aber als sie im Lift standen und dieser sich plötzlich in die Tiefe senkte, war Kuttler doch froh, sich an der Kabinenwand anlehnen zu können.
    Czybilla sah ihn an. »So ganz fit sind Sie noch nicht?«
    »Das kommt von selbst.«
    Der Fahrstuhl setzte auf, und sie gingen durch die Eingangshalle zu der Cafeteria. Kuttler holte sich an der Theke eine Portion Kaffee, Czybilla ein Mineralwasser. Zwischen Pflanzkübeln mit Gummibäumen und Philodendren fanden sie einen freien Tisch vor der Fensterfront, durch die man den Blick auf eine weite, von Pavillons und anderen Klinikbauten begrenzte Grünfläche hatte.
    »Ich habe das ›Tagblatt‹ bei Ihnen liegen sehen«, sagte Czybilla. »Da ist heute ein ziemlich bescheuerter Artikel drin... heißt das, dass Sie zu allem Überfluss auch noch Ärger kriegen werden?« Fast bekümmert sah er auf sein Gegenüber, und diese Bekümmertheit schien aufrichtig zu sein. Manche von diesen dicken Leuten sehen aus, dachte Kuttler, als seien sie deshalb so dick, weil sie die Welt in vollen Zügen wahrnehmen, mit umfassender Anteilnahme, die guten Dinge wie das Essen und Trinken ebenso wie das Schlimme, das für sie freilich vor allem deshalb so schlimm ist, weil es den Menschen daran hindert, zuzulangen und sich einzuschenken.
    »Möglich«, antwortete er. »Das heißt: nein. Es gibt

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