Uferwald
sich mit beiden Händen auf und zog erst das eine Knie an, dann das andere. Der Wald drehte sich um ihn. Er schloss die Augen und blieb so, auf dem Waldboden kniend, nach vorne gebeugt, mit den Händen aufgestützt.
Wieder klingelte das Handy. Er griff mit der rechten Hand in seine Hosentasche und hätte dabei fast das Gleichgewicht verloren. Die Hosentasche war zu eng, das Handy verfing sich halb im Futter.
Er überlegte, ob er noch einmal einen Versuch machen und die Augen öffnen sollte. Vorsichtig sah er sich um. Die Fichten hatten aufgehört zu schwanken. Ein paar Meter vor ihm war der Waldweg. Ein hässlicher weißer Kasten stand dort.
Endlich hatte er das Handy vor sich. Er drückte auf die Sprechtaste:
»Diese Scheißkerle«, sagte er, »sie haben den Kühlschrank dagelassen.« Eine Welle von Übelkeit schwappte über ihn. Er ließ das Handy fallen und erbrach sich auf den Waldboden.
Kuttler liest Zeitung
D ie Phantombilder zeigten zwei stiernackige Männer. Der eine hatte eine niedrige, wulstige Stirn und ein ausladendes Kinn, der andere lange Koteletten und eine gekrümmte Nase. In der Bildunterzeile hieß es, der Mann mit den Koteletten sei 1,85 Meter groß, der andere 1,90. Unter der Überschrift: Polizei half Kalaschnikow-Bande zur Flucht waren die beiden Phantombilder in einen Vierspalter eingeblockt, dem Aufmacher der ersten Lokalseite.
Kuttler schob sich in seinem Bett nach oben, so dass er sich mit dem Oberkörper etwas besser aufrichten konnte, und zog die Lampe auf seinem Nachttisch näher zu sich her. Es war später Vormittag, aber durch das Fenster fiel nur das trübe Licht eines regnerischen Spätherbsttages. Außerdem lag er in dem zweiten, vom Fenster entfernten Krankenbett. Er begann zu lesen:
Bankräuber vom Eschental noch immer flüchtig – Rund eine Viertelmillion Euro erbeutet
(fzl) Obwohl inzwischen bundesweit nach ihnen gefahndet wird, gibt es noch immer keinen Hinweis auf den Verbleib der beiden Bankräuber vom Eschental. Wie von der Polizei gestern eingeräumt wurde, sind die beiden Männer aus der Bankfiliale im Eschenhochhaus in Begleitung eines Kriminalbeamten, den sie als Geisel genommen hatten, und unter den Augen der Polizei entkommen.
Wie wir bereits in unserer Samstagsausgabe exklusiv berich tet haben, war die im Eschenhochhaus untergebrachte Filiale der Handels- und Gewerbebank am Freitagnachmittag von einem mit einer Maschinenpistole bewaffneten Mann überfallen worden, der die Herausgabe des gesamten Kassenbestandes in Höhe von rund 250 000 Euro erzwang. Während er sich noch in der Bank befand, erreichte ein Demonstrationszug von Bürgern des Eschentals und der Siedlung an der Rommelfinger Landstraße, die sich gegen den Neubau eines Obdachlosenheimes in ihrem Wohngebiet wenden, den Platz vor dem Hochhaus und besetzte ihn.
»Daraufhin verlor der im Fluchtfahrzeug vor dem Hochhaus wartende zweite Täter die Nerven, verließ den Wagen und zog sich in die Bank zurück«, beschreibt Kriminalrat Hannskarl Englin den weiteren Fortgang. »Auf Geheiß der beiden Täter musste der Filialleiter die Gitter der Bank schließen, damit niemand von den Demonstranten in den Schalterraum eindringen konnte.«
Zu diesem Zeitpunkt hatte sich außer dem Filialleiter Manfred Cz. (30) und zwei Mitarbeiterinnen nur ein Polizeibeamter in Zivil in der Bank aufgehalten. Die Frage, ob der Beamte die Bank in dienstlichem Auftrag oder rein privat aufgesucht hatte, ließ Englin offen.
Wie die weiteren Recherchen des »Tagblatts« ergeben haben, hat sich dieser Beamte dann angeboten, den beiden Bankräubern in seinem eigenen Wagen, der in der Tiefgarage des Hochhauses abgestellt war, zur Flucht zu verhelfen. Tatsächlich gingen die beiden Täter darauf ein, und bei der Ausfahrt aus der Tiefgarage wurde den Tätern von einem weiteren Polizei beamten, der zur Sicherung der Demonstration abgestellt war, der Weg freigemacht, um über die Rommelfinger Landstraße zu entkommen.
Die Täter fuhren zuerst in Richtung Rommelfingen, bogen dann aber Richtung Autobahn A8 ab. An einem Waldparkplatz im Mähringer Tal hielten sie und zwangen den Polizisten, der sie aus dem Hochhaus geleitet hatte, auszusteigen und mit ihnen in den Wald zu gehen. Dort schlugen sie ihn nieder und lie ßen ihn liegen. Da das Handy des Beamten eingeschaltet war, konnte er jedoch geortet und gefunden werden. Er befindet sich im Krankenhaus und konnte bisher nicht vernommen werden. Nach Angaben Englins schwebt er aber
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