Uferwald
nicht in Lebensgefahr.
Zur Frage, ob das Verhalten einzelner Polizeibeamter in dieser Sache dienstrechtlich überprüft werde, erklärte Englin, dass nach jedem vergleichbar schwerwiegenden Geschehen eine detaillierte Nachbearbeitung des polizeilichen Vorgehens erfolge.
Leck mich, dachte Kuttler und ließ die Zeitung sinken. Was schreiben die da und warum? Keiner der beiden Männer hatte Koteletten getragen. Der eine war knapp 1,80 groß gewesen, der andere fast zwei Meter. Keiner von ihnen hatte ausgesehen, als sei er aus Dr. Frankensteins Raritätenkabinett entlaufen.
Erst jetzt bemerkte Kuttler, dass sein Bettnachbar ihm zusah. Es war ein Mann mit einem hageren, fast eingefallenen Gesicht und dünnen langen Haaren.
»Hat die Zolpei selber tatatat«, sagte er und brachte ein Geräusch hervor, das an ein Kichern erinnerte. »Verstehst du, hakakuk...«
Dann fiel es Kuttler wieder ein. Sie waren hier in der Neurologie, und der Mann nebenan hatte irgendwas in seinem Kopf, und das Irgendwas drückte ihm auf das Sprachzentrum.
»So wird es sein«, antwortete er.
W ieder saß Tamar am Besprechungstisch der Kanzlei Dannecker, und wieder hing in ihrem Blickfeld die Reproduktion von Rouaults syphilitischem Märtyrer. Sie hatte ihren Stuhl ein wenig vom Tisch zurückgezogen und betrachtete Dannecker, der seinerseits zuhörte, was ihm Tamars Kollege Armbruster vom Dezernat Wirtschaftskriminalität zu erklären versuchte.
»Mein Problem ist«, sagte Armbruster, »dass das Geld aus der Erbschaft Kaminski zwar verbucht wurde, ich ihm aber keine realen Geldbewegungen zuordnen kann.«
Das verstehe er nicht, antwortete Dannecker. Er starrte auf Armbruster, den Kopf leicht angehoben, so dass Tamar die behaarten Nasenlöcher seiner vorspringenden gebogenen Nase sah. Auch Danneckers Hände waren behaart, es waren große Hände, und ihre Bewegungen wirkten beherrscht, fast sparsam. »Das Erbe ist an den Trägerverein gefallen und muss dort auch verbucht sein.«
»Es ist verbucht worden, das sage ich doch gerade«, gab Armbruster zurück. »Das heißt, verbucht worden ist eine Einnahme von knapp einhundertsechzigtausend Mark.«
»Aus den an Kaminski gefallenen Vermögenswerten hat natürlich zuerst ein Beitrag zu den Heimkosten entrichtet werden müssen.« Danneckers Bariton klang plötzlich etwas brüchig. »Und dann sind noch andere Verbindlichkeiten zu begleichen gewesen.«
»Ihre Anwaltskosten, meinen Sie?«
»Das auch«, sagte Dannecker. »Selbstverständlich war auch das zu begleichen.«
Armbruster nickte. Er war ein breitschultriger bedächtiger Mann, noch keine 40, sah aber mit seiner ausgeprägten Stirnglatze älter aus. »Das ist auch nicht das Problem. Nur – auf den Konten des Trägervereins sind die einhundertsechzigtausend nie eingegangen, es gibt keine Überweisung, auch nicht in Tranchen.«
»Das ist intern verrechnet worden.« Dannecker saß noch immer sehr aufrecht, aber da er ein groß gewachsener Mann war, hielt er seinen Kopf ein wenig geneigt – das sah höflich aus und aufmerksam zugleich.
»Sie meinen, mit dem Darlehen?«, fragte Armbruster. »Das Geld ist also direkt, unmittelbar und ohne Umweg über die Konten des Trägervereins in das zinslose Darlehen über einhundertachtzigtausend Mark eingegangen, das Ihnen der Trägerverein damals gewährt hat?« Er beugte sich über die Unterlagen. »Ja, ich sehe, das ist ziemlich zeitgleich geschehen.«
»Wir hatten damals im Hinblick auf uns in Aussicht gestellteVermächtnisse, vielleicht sollte ich besser sagen, auf Stiftungen, erhebliche Ausgaben«, antwortete Dannecker. »Erhebliche Ausgaben im Bereich der juristischen Abklärung, verstehen Sie? Dies ist auf diese Weise finanziert worden, also über mich, da dies sonst Probleme für den Gemeinnützigkeitscharakter des Trägervereins aufgeworfen hätte.«
»Aber diese Vermächtnisse oder Stiftungen – die sind nicht zustande gekommen?«
»Nein, sind sie nicht«, antwortete Dannecker. »Überwiegend nicht. Es war nicht mehr die Zeit. Da war der Anschlag auf das World Trade Center, danach die Kursstürze an der Börse – plötzlich mussten viele Vermögen neu bewertet werden, und das hat massiv auf die Bereitschaft durchgeschlagen, sich im karitativen Bereich zu engagieren.«
»Das Geld aus der Erbschaft Kaminski ist also in vollem Umfang bei Ihnen geblieben«, fasste Armbruster zusammen. »Man kann sogar sagen, der Trägerverein als Erbe Kaminskis hat von dessen Geld niemals auch nur
Weitere Kostenlose Bücher