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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Wichtigeres.« Er versuchte einen Schluck. Der Kaffee schmeckte abscheulich.
    »Sie können auf uns zählen«, sagte Czybilla. »Sie haben ja eine ganz schreckliche und dramatische Situation entschärft, das wäre furchtbar geworden, wenn Sie diese beiden Leute nicht überredet und weggebracht hätten. Wenn Sie wollen, schreibt unsere Geschäftsführung auch gerne einen Brief an die Polizeidirektion oder an das Innenministerium.«
    Das hätte noch gefehlt, dachte Kuttler und rang sich ein »Danke« ab. »Sehr freundlich«, fügte er hinzu. »Aber meine Vorgesetzten haben alle Informationen, die sie brauchen. Es ist mir sogar wichtig, dass ohne jede Einflussnahme von außen entschieden wird.«
    »Kann ich verstehen«, meinte Czybilla. »Aber ich finde, man kann sich nie auf das verlassen, woran sich die Leute erinnern. Entschuldigen Sie, aber wie ist das eigentlich bei Ihnen? In der Zeitung steht, man hat Sie niedergeschlagen. Haben Sie denn den ganzen Film noch parat?«
    »Gute Frage.« Das war sie wirklich, dachte Kuttler. »Sicher nicht. Das Letzte, woran ich mich erinnere, waren die Flecken auf der Lederjacke des einen. Vermutlich war es der, der mir das verpasst hat.« Er deutete auf den Turban, vermied es aber, ihn zu berühren. »Zwei Flecken auf einer Lederjacke, und das bleibt dann in der Erinnerung wie ein Standfoto, komisch, nicht wahr?«
    »Ja, komisch«, antwortete Czybilla. »Aber sagen Sie – was war das eigentlich, das Sie von mir hatten wissen wollen?« Sein Blick war noch immer wohlwollend und ungetrübt, und wie er da saß, erinnerte er an einen Vollmond bei klarem Himmel, der menschenfreundlich auf die Erde herabsah.
    »Eigentlich ist es eine lächerlich einfache Frage«, antwortete Kuttler, riss noch ein Tütchen mit Zucker auf und schüttete es in seinen Kaffee. »Sie erinnern sich doch an diese Neujahrsnacht. Wie ist eigentlich damals die Abstimmung ausgegangen?« Dann blickte er hoch. Czybillas Gesicht schien noch immer freundlich und wohlwollend. Aber vor den Vollmond hatte sich eine Wolke geschoben.
    »Das ist mir jetzt nicht ganz klar«, antwortete er zögernd, »wonach genau...«
    »Ich frage nach der Abstimmung«, wiederholte Kuttler. »Dieser Abstimmung, nach der Sie alle auseinander gelaufen sind. Und Tilman in die Nacht hinaus ist.«
    »Ich weiß nicht«, antwortete Czybilla zögernd und brach ab.
    Hatte er sagen wollen: Ich weiß nicht, ob Tilman danach gegangen ist? Fast klang es so, dachte Kuttler.
    »Was wissen Sie nicht?«
    »Ich verstehe Ihre Frage nicht«, sagte Czybilla. »Außerdem war ich damals ganz sicher schon knülle, früher als die anderen. Sie sollten Matthes fragen oder...« Plötzlich veränderte sich das Gesicht, die Augen wurden schmal. »Sie sollten Isolde fragen, Isolde Treutlein... ich glaube, sie weiß am meisten von uns über Tilman.«
    Kuttler nahm einen Schluck Kaffee. Er war nicht nur abscheulich, sondern auch zu stark gesüßt. »Aber jetzt gerade interessiert es mich, wie Sie zu ihm standen.«
    »Ach Gott!«, sagte Czybilla und legte seinen Kopf ein wenig schief, als wolle er etwas abwägen oder unter einem anderen Blickwinkel betrachten. »Er konnte mich nicht leiden. Tilman war ein bisschen ein Snob. Eingebildet eben, auch wenn ich nicht so genau sagen kann, worauf eigentlich... Und ich – ich habe nicht studiert, ich habe eine Banklehre gemacht, mich haben keine Bücher interessiert, mich hat das Geld interessiert. Was ist das? Wie funktioniert es? Geld muss in Bewegung sein. Wie kann man es da besitzen?« Er trank einen Schluck Mineralwasser. »Für solche Fragen hatte Tilman keine Antenne.«
    »Sind Sie ein Spieler?«
    Czybilla sah hoch, und diesmal war sein Gesichtsausdruck eher verwundert als besorgt oder verärgert. »Warum fragen Sie mich das? Ich denke, Sie wollen etwas über Tilman wissen.«
    »Aber an die Konstanzer Spielbank können Sie sich erinnern?«
    Czybilla schüttelte den Kopf. »Das wird jetzt ein merkwürdiges Gespräch. Sind Sie sicher, dass Sie okay sind?«
    »Warum beantworten Sie meine Fragen nicht?«
    Czybilla betrachtete das leere Glas Mineralwasser. »Aber bitte! Natürlich war ich schon ein paar Mal im Casino Konstanz, nettes Ambiente, sicher doch. Wenn ich – was selten genug der Fall ist – ein paar Euro übrig habe und auch die Zeit, dann kannes schon sein, dass ich Lust auf ein kleines Spiel bekomme. In Stuttgart oder in Lindau. Das heißt, in Stuttgart eher nicht. Zocker können unangenehm sein und Stuttgarter auch.

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