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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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zurück.
    »Ich meine richtig, richtig gut gekannt.«
    Jetzt endlich fiel der Groschen. »Ach, du meinst …?«
    Miranda nickte. »Wäre eine plausible Erklärung, nicht? Der Alte hatte was mit dem Kleinen, und jetzt ist der tot und Sugardaddy will entweder rausfinden, was wirklich passiert ist …«
    »… oder er war’s selber und will nun sichergehen, dass er nicht verdächtigt wird!«, rief ich. »Deswegen will er auch anonym bleiben!«
    »Siehst du? Was würdest du bloß ohne mich machen?«
    Ich legte Miranda den Arm um die Schultern und drückte sie an mich. »Danke für den Wink mit dem Zaunpfahl …«
    »Wink? Hallo? Ich hab mit dem verdammten Scheit auf dich eingeprügelt, bis du’s gerafft hast!«
    »Na ja. Aber was mach ich jetzt?«
    Miranda blickte mich nur spöttisch an.
    »Könntest nicht du …?«, versuchte ich es kleinlaut.
    Sie schüttelte bestimmt ihre Locken, während sie nach dem Päckchen auf dem Nachttisch langte und sich eine Zigarette herauspulte. »Dahin will ich nicht zurück, sorry.«
    Richie hätte es wirklich zu was bringen können. Er war intelligent, talentiert und einmal so gut aussehend gewesen, dass er lange Zeit sein Taschengeld mit Modelaufträgen aufbessern konnte. In der Schule hatte er zu den Besten gehört, er war bei Lehrern und Mitschülern gleichermaßen beliebt gewesen. Seine Eltern hätten ihn gern als Arzt oder Rechtsanwalt gesehen, die gutbürgerlichen Vorstellungen eines erfolgreichen Werdegangs. Als wir uns am letzten Schultag nach der Matura verabschiedeten, war für alle klar, dass Richie nach der obligatorischen Dienstpflicht und der genauso obligatorischen Militärkarriere studieren und in kürzester Zeit eine eigene Praxis oder Kanzlei in bester Lage haben würde. Ein Leben wie auf Schienen.
    Doch dann übersah er eine Weiche und bog falsch ab. Schnupfte eine Linie, die geradewegs in den Abgrund führte. Die Linie wurde schnell zur Mehrbahnstraße und schon bald genügte dieser Stoff allein nicht mehr. Innert kürzester Zeit war aus dem hoffnungsvollen Studenten und Oberstleutnant ein Wrack geworden, das sich auf der Suche nach dem nächsten Schuss auf der Bäckeranlage rumtrieb, ungepflegt und zerlumpt, mit schorfigen Pickeln im Gesicht und dieser für Junkies typischen gekrümmten Körperhaltung.
    Irgendwie hatte er überlebt und stolperte seither, billiges Gras und schlechtes Heroin verkaufend, die Langstrasse auf und ab. Sein Blick war immer noch etwas starr, aber manchmal sah ich ihn sogar wieder lächeln. Wir grüßten uns, wenn wir uns trafen und einer von uns nicht gerade so verladen war, dass er nur noch lallte. Was bei ihm häufiger der Fall war als bei mir, nur so am Rande.
    Ich blieb nie stehen, um ein paar Worte mit ihm zu wechseln. Vielleicht weil mir sein Zustand bewusst machte, wie dünn das Eis war, auf dem man sich bewegte. Dass ein einziger Fehltritt genügte, um aus seinem Lebensrahmen zu fallen.
    Jetzt duckte sich Richie vor mir, als hätte ich die Faust gegen ihn erhoben, und sein Blick wich meinem konstant aus. Wie eine in die Enge getriebene Ratte kam er mir vor.
    »So, ach du, so, wie geht’s dir so?«, keuchte er, als hätte ich ihn quer durchs Quartier gehetzt. Dabei hatte ich ihn nur per Zufall entdeckt, als er mit einem Kunden aus einem der Hinterhöfe in die Dienerstrasse eingebogen war, wo höchstwahrscheinlich eine illegale Substanz in grottenschlechter Qualität den Besitzer gewechselt hatte. Doch es konnte nicht schaden, sich bei einem, der seit Jahren auf der Langstrasse unterwegs war, nach dem Jungen zu erkundigen.
    »Mhm, mhm, schön, schön, lang nicht gesehen, hm?« Er ratterte die Floskeln herunter, ohne eine Antwort zu erwarten. Seine Gedanken schienen längst auf ein anderes Ziel gerichtet.
    »Richie, ich brauche deine Hilfe.«
    Sein Kopf wackelte aufgeregt hin und her, als hinge er an einer kaputten Sprungfeder. Dann kam die Nachricht bei ihm an. Erstaunt riss er die Augen auf und starrte zuerst verdattert an die Hauswand gegenüber, bevor er sich einen Punkt links von meiner Nase aussuchte, um dort hinzuglotzen. »Hilfe, soso, hm?« Er kicherte verunsichert.
    Ich hielt ihm das Foto des toten Jungen hin und erklärte, was ich wissen wollte. Richie guckte kurz darauf und rieb sich die Nase, dann bemerkte ich, wie sich sein Blick verschleierte.
    »Richie! Konzentrier dich!«
    Richie schüttelte den Kopf.
    »Bist du sicher?«
    »Ja, ja, ich weiß ja, wer alles so hier, hm, du weißt schon, gell. Aber den, hm, den hab ich
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