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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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sich noppig Brustwarzen ab, die in jeder pflichtbewussten Hausfrau den Drang auslösen mussten, Geschirrtücher daran aufzuhängen. Er jedoch hatte sie mit zwei gewichtigen Piercingringen harpuniert. Meist trug er Lederhosen, die im Hüftbereich ein kleines bisschen spannten. Auf den ersten Blick wirkte er wie ein gnadenlos dominanter Macker, dieser Eindruck verflüchtigte sich jedoch, sobald er inbrünstig einen Lale-Andersen-Klassiker intonierte oder seine hausgemachten Eclairs zum Kaffee servierte.
    Balthasar kauerte am Boden, als ich den Laden betrat, und polierte mit einem Lappen die solide aussehenden Stäbe eines kniehohen Käfigs.
    »Arbeitest du jetzt mit den Ausschaffungsbehörden zusammen?«, rief ich ihm zu.
    Grinsend blickte er auf. »Die Sklaven heutzutage sind leider auch nicht mehr, was sie mal waren.« Balthasar erhob sich behände und kam mir mit ausgebreiteten Armen entgegen. »Lange nicht mehr gesehen, mein Lieber. Trinkst du einen Kaffee mit uns?« Er drückte mich, und als er mich wieder freigegeben hatte, begrüßte ich per Handschlag seinen Mitarbeiter Paul, der gerade dabei war, neu eingetroffene, erschreckend winzige Gummihöschen auszupacken und in die Regale zu räumen.
    Auf den ersten Blick sah Paul wie ein Klon von Balthasar aus, weswegen ihn viele Leute entweder für dessen Lebenspartner oder für Balthasar selbst hielten. Weder das eine noch das andere traf zu.
    Dankend nahm ich die Einladung an, und während Balthasar die Kaffeemaschine hinter dem Tresen in Betrieb nahm, begutachtete ich den Käfig genauer.
    »Wozu braucht man so was?«, erkundigte ich mich.
    Balthasar drehte sich um, in der Hand ein silbernes Sahnekännchen. »Um jemanden einzusperren, wozu wohl sonst?«
    »Dass der nicht für Riesenkaninchen gedacht ist, war mir schon klar. Aber was hat man davon? Sexuell, meine ich.«
    »Da geht es nicht in erster Linie um Sex im Sinne von Geschlechtsverkehr, sondern um Macht. Dass einem jemand komplett ausgeliefert ist, finden manche Leute geil. Auf der anderen Seite gibt es Menschen, die sich gerne unterwerfen und demütigen lassen.«
    »Also nicht nur Mitarbeiterinnen dieser Zürcher Boutiquenkönigin?« Die weit über die Stadtgrenzen hinaus tätige Dame war geradezu berüchtigt für die eiserne Strenge gegenüber ihren Angestellten.
    Die beiden Männer grinsten. »Bislang ist sie zumindest noch nie hier gewesen.«
    Ich musterte den Käfig und schauderte. Trotz einiger Erfahrung im Bereich erotischer Zweisamkeit existierten einige Spielarten, die mir komplett fremd waren. »Dann gibt es Haushalte, in denen so ein Ding einfach rumsteht?« Ich konnte mir zwar nicht vorstellen, meine nicht existente Freundin zu dominieren, indem ich sie einsperrte, doch irgendwie war ich trotzdem fasziniert. »Tagsüber als Laufgitter für den Nachwuchs, abends kriecht dann Vati im Stringtanga rein?«
    »Viele wollen so was nicht permanent in der Wohnung haben, deswegen vermieten wir den Käfig wochenendweise. Wobei gerade neulich jemand eine Sonderanfertigung bestellt hat. Aus Edelstahl mit extra starken Gitterstäben und einem Kopfpranger.«
    »Einem was?«
    »Einer Halterung für den Kopf an der Vorderseite des Käfigs, die wie ein Hundehalsband um den Nacken gelegt wird. Allerdings aus Metall. Der Gefangene kann dann den Kopf nicht mehr bewegen und muss geradeaus blicken«, erläuterte Balthasar.
    »Den benutze ich nur, wenn mein Partner sich weigert, mit mir eine Sendung mit diesem allgegenwärtigen Moderator anzusehen«, platzte Paul kichernd heraus und erntete von Balthasar einen etwas säuerlichen Blick.
    Wissend verzog ich die Mundwinkel. Die Dauerpräsenz des aalglatten und biederen Moderators im Schweizer Fernsehen war für manche Zuschauer tatsächlich eine Qual, auch ich hielt für den Fall der Fälle die Fernbedienung stets in unmittelbarer Nähe.
    »Nächstes Wochenende wäre der Käfig noch frei. Ich mache dir einen Spezialpreis.« Balthasar zwinkerte mir zu und stellte eine Zuckerdose aus Porzellan auf den Verkaufstresen. Ich machte eine abwehrende Handbewegung und verzichtete auf weitere Fragen. Stattdessen holte ich das Foto des Toten hervor und legte es neben die Kaffeetassen.
    Wenn sich jemand in der Schwulenszene auskannte, dann war das Balthasar. Nicht nur, dass sich viele bei ihm mit Kondomen, Gleitcremes und – wie soeben gelernt – weit merkwürdigeren Dingen eindeckten, die offenbar zum Ausleben oder Wiederentfachen ihrer Sexualität nötig waren. Darüber hinaus wurde
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