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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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freitags und samstags der Hinterraum der ehemaligen Garage geöffnet, in welcher der Laden untergebracht war, und diente als Bar.
    »Kennt ihr diesen Jungen?«
    Der doppelte Balthasar beugte sich neugierig über das Foto, doch nach einem kurzen Blick schüttelten beide Männer synchron den Kopf.
    »Sieht aus wie ein Stricher.«
    »Das habe ich mir auch gedacht«, bekräftigte ich Balthasars Vermutung.
    »Wir haben ein anderes Zielpublikum. Die Strichjungen findet man eher in den Lokalen an der Zähringerstrasse, spätnachts auch im T&M , dem Klub in der Marktgasse«, erklärte er, während Paul ihn von der Seite ansah und zustimmend brummte.
    Ich hatte von den Bars im Niederdorf gehört, oberhalb der Touristenmeile in der Züricher Altstadt, in denen junge Männer aus dem Ostblock, aus Thailand oder Brasilien ihre Körper feilboten.
    »Ihr habt nicht zufälligerweise Kontakte in die Richtung?«
    Balthasar und Paul tauschten einen zögernden Blick aus.
    »Wir haben einen Stammkunden, ein älterer Mann«, rückte Balthasar schließlich heraus. »Besucht beinahe jeden Freitag unsere Bar. Sitzt immer am Tresen. Der gönnt sich ab und zu einen Stricher, wenn seine magere Rente es zulässt.«
    »Woher weißt du das?«, wunderte ich mich.
    »Wenn man in meinem Metier arbeitet, lernt man manchmal die Leute besser kennen, als einem lieb ist. Gerade die älteren Männer erzählen nach ein, zwei Bierchen gern, nicht zuletzt weil ihnen außer dem Barmann niemand mehr zuhört. Denn alt sein ist in der Szene total uncool, schon alt werden ist verpönt. Zusammen mit ›fett‹ die beiden Worte, die wir mehr fürchten als Frauen ›Meno‹ und ›Pause‹.«
    »Und was tut ihr dagegen?«
    »Ach, zumindest das Älterwerden haben wir ganz einfach abgeschafft. Wir sind alle neunundzwanzig, ein paar wirklich hoffnungslose Fälle neununddreißig. An dieser unsichtbaren Barriere bleibt der letzte Zähler stehen. Offiziell ist keiner älter. Und mithilfe moderner Technologien bleiben wir das auch jahrzehntelang, wenn’s sein muss.«
    »Wie meinst du das?«
    » Facebook und all diese Datingseiten: Da kann man ja sein gefühltes Alter eingeben. Und die meisten empfinden sich als blutjung.«
    »Und euer Stammgast? Ist der auch neunundzwanzig?«
    Balthasar lachte. »Klar, er ist einfach seiner Zeit ein wenig voraus.«
    »Er war schon immer sehr reif für sein Alter.« Paul leerte seine Kaffeetasse und kümmerte sich wieder um die Gummihöschen.
    »Und wie komme ich an den jugendlichen Greis ran?«
    Balthasar schob mir einen Flyer zu. »Heute Abend ist Bar.«
    Den Nachmittag verbrachte ich damit, mir passende Kleidung zurechtzulegen: eine enge weiße Hose, die ich aus den Tiefen meines Kleiderschrankes zutage förderte, und ein farbenprächtiges Hemd aus synthetisch glänzendem Stoff, der knisternd Funken sprühte, wenn man darüberstrich. Das Kleidungsstück hatte mir eine meiner unzähligen Tanten vor Jahren aus Indien geschickt – im irrigen Glauben, sie träfe damit meinen Geschmack. Ich hatte nicht im Traum damit gerechnet, jemals in eine derart hoffnungslose Situation zu geraten, die das Tragen des Hemdes unabdingbar machte, doch nun war ich froh, dass ich es nicht in die Kleidersammlung gegeben hatte.
    Probehalber schlüpfte ich in mein Outfit und stand dann eine ganze Weile schockiert vor dem Spiegel. Ich sah darin aus wie eine schlecht gestopfte Leberwurst, derart quoll meine Restkörpermasse, die nicht in die Jeans gepasst hatte, über deren Rand. Wie einer dieser Popstars aus den Achtzigern, die dreißig Jahre später nicht nur mit den alten Songs, sondern auch in denselben Klamotten auf die Bühne traten.
    Trotzdem behielt ich die Kleider an, in der Hoffnung, sie würden sich nach einer gewissen Zeit meinen physischen Gegebenheiten anpassen. Was leider nicht der Fall war. Aber solange ich flach atmete, konnte ich es aushalten. Ich ergänzte meine Aufmachung mit einem lilafarbenen Seidenschal, den eine flüchtige Bekannte – soweit ich mich erinnern konnte mehr flüchtig denn bekannt – bei mir liegen gelassen hatte, und einer mit Gel und Haarspray aufwendig konstruierten Frisur. Einen schicken Gürtel, der meinen Auftritt stilvoll abrunden sollte, wollte ich mir bei Miranda ausleihen.
    »Mein Gott! Was ist denn das für ein Aufzug?«, quietschte sie fassungslos, als ich bei ihr vor der Tür stand, um mein Accessoire abzuholen.
    »Ich ermittle undercover.«
    »In einem Friseursalon?«
    »In der Schwulenbar da vorn.«
    »So lassen
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