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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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die dich nie rein«, gluckste Miranda.
    »Wieso?«
    »Außer in diesen humorfreien Fernsehkomödien läuft kein Homosexueller so rum.«
    »Bist du sicher?«
    »Ja, Schätzchen. So sicher, wie ich heute Abend bereits ausgebucht bin. Leider. Deinen Auftritt würde ich mir garantiert nicht entgehen lassen. Das wird der Brüller!«
    Mit einem Mal schlichen sich doch Zweifel ein. »Hast du ganz normale Jeans da?«
    Miranda lachte herzlich, als hätte ich gerade einen großartigen Witz zum Besten gegeben. Plötzlich hielt sie jedoch inne und musterte mich prüfend. »Aber ein Abendkleid von Dior, da könnten wir dich mit ein bisschen Gewalt reinquetschen.«
    »Nein. Schließlich heiße ich nicht Mariah Carey.«
    Sie zog eine enttäuschte Schnute. »Ach, Schwule sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.«
    »Ich bin nicht schwul!«
    »Was immer du sagst, Schätzchen.«
    »Und ich bin auch keiner deiner Klienten!«
    »Oh, entschuldige! Ich kann manchmal so schlecht abschalten.«
    Während sie sich eine Zigarette anzündete, taxierte mich Miranda belustigt. »Aber dann steh wenigstens nicht da wie ein feucht gewordenes Baguette. Nimm die korrekte Haltung an!«
    »Wie jetzt?«
    Miranda seufzte ungeduldig. »Niemals im Leben steht eine Tunte so krumm rum, wie du gerade.«
    »Sondern?«
    Sie steckte sich die Fluppe zwischen die Lippen und drückte meinen Bauch rein und den Rücken gerade. »Der Oberkörper muss immer durchgestreckt sein, als hättest du einen Stock im … einen Stock verschluckt. Dann: Kinn nach vorn, Arme verschränken, der blasierte Blick auf ein fernes Ziel gerichtet. Dein Gesichtsausdruck muss der Umwelt unmissverständlich klarmachen, dass deine Zeit knapp ist und du vom Shooting mit einem Starfotografen direkt zum Lunch mit mindestens jemandem wie der Chefredaktorin der Vogue schwirrst. Und es wir nicht gelacht!« Unsanft zog sie mir die Mundwinkel runter. »Eine Tunte, die was auf sich hält, lächelt nie, es sei denn, sie entdeckt einen preisreduzierten Hermèsschal bei Grieder. Und jetzt geh mal bis zur Küche.«
    Ich tat, was sie von mir verlangte.
    »Nein, nein! Kleinere Schritte, viel kleiner!«, rief sie entsetzt. »Du stapfst wie ein Cowboy, der den ganzen Tag ein Pferd zwischen seinen Schenkeln eingeklemmt hatte. Tunten machen das so.« Sie rauschte mit kurzen, aber energischen Schrittchen an mir vorbei, dabei schwenkte sie lasziv ihren Hintern.
    »Vergiss nicht, eine gute Tunte ist stets in größter Eile. Und sie hat immer eine Tasche dabei, immer. Irgendwas zum Umhängen …« Sie zog an ihrer Zigarette, kniff die Augen zusammen und verschwand dann im Schlafzimmer, um gleich darauf mit einer weißen Handtasche zurückzukehren, die mit bonbonfarbenen Buchstaben gesprenkelt war.
    »Die ist ja abartig!«
    »Louis Vuitton, pass auf, was du sagst. Das Teil ist ein Vermögen wert!« Miranda legte mir den Riemen über die Schulter. Die Tasche fühlte sich überraschend schwer an.
    »Und was ist da drin?« Eines der zahlreichen Mysterien der heutigen Jugend. Beim Anstehen vor irgendwelchen Klubs fragte ich mich jedes Mal, was die jungen Männer wohl in ihren sichtlich ausgebeulten Taschen und Umhängebeuteln herumschleppten. Als würden sie am nächsten Morgen zu einer dreimonatigen Interrailreise aufbrechen. Vielleicht konnte Miranda endlich etwas Licht in meine Dunkelheit bringen, doch wie es schien, dachte sie nicht im Traum daran.
    »Spielt das eine Rolle? Hauptsache, du machst einen viel beschäftigten Eindruck.« Sie trat einen Schritt zurück und nickte dann befriedigt. »Jetzt ist es stimmig.«
    Plötzlich zog sie leicht besorgt eine Augenbraue hoch. »Warst du überhaupt schon mal da?«
    »Wo?«
    »In der Bar.«
    »Nein.«
    »Das erklärt einiges. Willst du nicht doch lieber nach Hause zurück, um dich umzuziehen?«
    »Aber nein, wieso denn auch? Sieht doch prima aus!«
    »Wenn du das sagst …«
    Ich hatte mich von Miranda nicht beirren lassen, doch als ich jetzt auf die Männer zuging, die mit Bierflaschen in der Hand an der Wand des schmalen Ganges lehnten, wünschte ich, ich hätte auf sie gehört. Peinlich berührt fiel mir auf, dass man hier vor allem Jeans und einfache Hemden trug – bevorzugt mit Karomuster. Hin und wieder erblickte ich ein enges T-Shirt und muskulöse, tätowierte Oberarme. Die Mehrzahl der Typen trug die Haare millimeterkurz und die Bärtchen akkurat getrimmt.
    Auf den ersten Blick sahen sie alle gleich aus, auch auf den zweiten fiel es mir schwer, sie
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