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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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mir, dass er ein Schwein war. Etwas mehr Selbstwertgefühl hätte der Mann schon zeigen dürfen, er sah nämlich weder schmutzig noch niederträchtig aus, vielmehr wirkte er mit seinem runden Gesicht und den flaumigen Haarresten auf seinem Schädel wie ein wonniges Riesenbaby.
    »Ein Bier? Geht aufs Haus.«
    »Gern.«
    »Und? Schon was gesehen, das dir gefällt?« Paul hob anzüglich die Augenbrauen, als er die Flasche vor mich hinstellte.
    »Die Entscheidung fällt schwer. Aber ich hab ja eh eine Verabredung.«
    Mit einer kaum wahrnehmbaren Kopfbewegung wies Paul nach rechts. Ich blickte den Tresen entlang, an dem einige Gäste standen und auf Bedienung warteten. Der Mann mit schütterem Haar saß am äußersten Ende der Bar. Er wirkte allein, und das nicht nur, weil der Stuhl neben ihm unbesetzt war. Ich ergriff mein Bier und schlenderte an einem stumm glotzenden Männergrüppchen vorbei.
    »Darf ich mich dazusetzen?«
    Misstrauisch beäugte mich der Alte, dann zuckte er mit den Schultern und rückte etwas zur Seite. »Ist ja sowieso frei«, bemerkte er mit eingeschnapptem Tonfall.
    Also schwang ich mich auf den Barhocker und legte die Hände um meine Bierflasche. »Bin zum ersten Mal hier. Ist ja ziemlich was los!«, machte ich einen auf leutselig und der Alte blickte kurz über die Schulter.
    »Alle auf der Jagd. Jeden Freitag die gleiche Hysterie«, erklärte er freudlos. »Nur für mich interessiert sich keiner.«
    Seine Stimme war hoch und weinerlich, und es schien, als hätte jegliche Spannkraft Gesicht und Körper verlassen – alles an ihm hing herunter, obwohl er keineswegs korpulent war. Vielmehr war es die Haut, der es an Entschlossenheit mangelte, an ihrem angestammten Ort zu bleiben. Seine Lider schlappten über die Augen, die Wangen waren schlaff, das Fleisch an den dünnen Armen, die aus dem gestreiften Kurzarmhemd ragten, welk. Die Mundwinkel krümmten sich nach unten und seine Unterlippe war vorgeschoben, was ihm ein konstant beleidigtes Aussehen verlieh.
    »Mich will eh keiner«, jammerte er erneut. »Ich bin denen zu alt. Zu wenig durchtrainiert und solariumgebräunt.« Anklagend sah er mich an, bis sich mit einem Mal etwas in seinem Blick veränderte. Als wäre ein Schalter gekippt worden. Ich gab vor, die Etikette meiner Bierflasche zu entziffern.
    »Und du, weshalb bist du hier?«, erkundigte er sich mit lauerndem Unterton, nachdem er einen Schluck von seinem Drink genommen hatte.
    »Ich suche jemanden«, antwortete ich leichthin, als hätte ich sein aufkeimendes Interesse nicht bemerkt.
    Der Alte sank in sich zusammen. »Ja, ja, so geht es mir immer.« Er suhlte sich regelrecht in seinem Selbstmitleid.
    »Dazu brauche ich jedoch deine Hilfe.«
    »Meine Hilfe?« Der Alte wich zurück, in seinen Augen blitzte plötzlich ein Misstrauen auf, wie es Menschen eigen ist, die in ihrem Leben zu oft enttäuscht worden sind.
    Als ich das Foto des Toten vor ihn hinlegte, schnaubte er und starrte mich entrüstet an.
    »Was soll das?«, keifte er. »Bist du von der Polizei?«
    »Nein, keine Sorge«, beruhigte ich ihn. »Aber sieh dir bitte das Bild genauer an. Ist dir dieser junge Mann vielleicht schon mal begegnet?«
    Sein Blick verharrte noch einen Atemzug bei mir, dann blähte der Alte die Wangen und beugte sich über die Fotografie. Beinahe gleichzeitig weiteten sich seine Augen, er fuhr heftig hoch und schob das Bild weit von sich weg.
    »Noch nie gesehen!«, stieß er keuchend hervor, seine Stimme klang mit einem Mal brüchig.
    »Macht aber nicht den Anschein.«
    »Doch! Nein!« Seine Lippen bebten, die Pupillen zuckten nervös hin und her. Es war offensichtlich, dass er log. Also hatte der anonyme Anrufer die Wahrheit gesagt: Das Opfer war schon vor seinem Tod in Zürich gewesen.
    »Dieser junge Mann …«, ich streckte dem Alten das Foto entgegen, »… ist höchstwahrscheinlich umgebracht worden. Irgendjemand hat ihn brutal ermordet und dann einfach draußen in der eisigen Kälte liegen gelassen. Ich bin Privatdetektiv und versuche herauszufinden, wer ihm das angetan an. Und dazu brauche ich deine Unterstützung!«
    Wortlos starrte er auf das Bild, während seine blutleeren Lippen zu zittern begannen.
    »Erzähl mir, was du weißt.«
    »Nichts weiß ich, gar nichts, lass mich in Ruhe!«, fauchte er und rutschte ungelenk vom Hocker. Von den benachbarten Stehtischen äugte man bereits neugierig zu uns herüber.
    »Verdammt! Das kann dir doch nicht egal sein!«
    Der alte Mann schüttelte störrisch
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