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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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an und horchte auf Geräusche, doch alles blieb still. Ich tastete nach dem Lichtschalter. Flackernd glimmte eine nackte Glühbirne auf, die an einem Kabel von der Decke baumelte und viel zu tief im Raum hing.
    Ich befand mich in einer Art Vorratskammer, die nur wenige Quadratmeter groß war. Auf dem Boden stapelten sich Holzscheite und gebündelte alte Zeitungen, auf den Regalen, die bis unter die Decke reichten, lagerten Marmelade und Eingemachtes in Gläsern. Direkt mir gegenüber befand sich eine Tür.
    Geräuschlos drückte ich die Klinke hinunter. Sie war unverschlossen.
    Als Erstes fiel mir der leicht muffige Geruch auf. Er entströmte dem Holz, den Vorhängen und alten Teppichen und hatte sich über Jahre hinweg mit dem Duft von frisch gebackenem Brot, Kaffee und Kaminfeuer vermischt. Seit ich nicht mehr rauchte, hatte sich nicht nur mein Geschmackssinn verfeinert, auch meine olfaktorischen Fähigkeiten kehrten allmählich zurück. Es roch heimelig hier, nach Geborgenheit und familiärer Wärme. Nach Zuhause, dachte ich spontan, selbst wenn es in der Wohnung meiner Eltern ganz anders geduftet hatte. Indischer irgendwie.
    Wie mir schon von außen aufgefallen war, war das Wohnzimmer nicht gerade lichtdurchflutet. Obwohl später Vormittag war, herrschte darin eine Dämmerstimmung wie an einem frühen Winterabend, was eindeutig mit den kleinen Fenstern und den Gardinen zu tun hatte. Die niedrige Decke vermittelte zudem ein Gefühl der Enge. Instinktiv duckte ich mich, während ich mich in den Raum hineinbewegte. Der alte Holzboden knarrte unter meinen Schritten. Immer wieder blieb ich stehen und lauschte. Doch da war nur Stille.
    Das Wohnzimmer war unspektakulär eingerichtet. Nebst den Möbelstücken, die ich bereits durch das Fenster entdeckt hatte, waren da noch zwei mit braunem Leder bezogene Sessel und eine weitere bemalte Truhe, die neben dem Treppenaufgang stand. Nichts Ungewöhnliches, wären da nicht die Schaukästen mit den präparierten Schmetterlingen gewesen, welche die gesamten Wände einnahmen. Selbst zwischen den Fenstern hingen sie, kleine Rahmen mit je einem Exemplar drin. Darunter waren winzige goldene Schildchen mit der jeweiligen Bezeichnung der Art in Deutsch und Latein angebracht. Schwalbenschwanz , las ich unter einem besonders auffällig gezeichneten Exemplar auf Augenhöhe, Papilio machaon . Mich schauderte, als ich näher herantrat und die feine Nadel betrachtete, die den Körper des Insekts durchbohrte. Eine grässliche Art zu sterben, stellte ich mir vor, doch dann fiel mir ein, irgendwo gelesen zu haben, dass die Tiere zuerst betäubt wurden und die fachgerechte Präparierung danach äußerst anspruchsvoll war. Der Gedanke daran war mir trotzdem zuwider.
    Ich ging weiter und gelangte in eine geräumige Küche, in deren Mitte ein Holztisch stand. Der Herd wirkte altmodisch, ebenso das massive Büffet und die in blassen Farben gestrichenen Schränke. Auch hier wirkte alles aufgeräumt und blitzblank sauber, als wären die Bewohner in die Ferien gefahren und wollten keinesfalls einen schlechten Eindruck bei der Nachbarin hinterlassen, welche in der Zwischenzeit freundlicherweise die Blumen goss.
    Aber das konnte kaum sein. Der Feldweg war von Schnee geräumt, die Scheune mit dem Traktor stand offen und der Kachelofen im Wohnzimmer war noch warm gewesen, wie ich mich vorhin überzeugt hatte. Bastiani und seine Frau mussten einfach äußerst reinliche Leute sein, wahrscheinlich hatte einer der beiden einen Putztick.
    Laut den Schmieds fuhr Bastiani auf dem Weg zur Markthalle jeden Morgen an ihrem Haus vorbei. Ich nahm an, dass er sich jetzt gerade an seinem Stand befand. Der Samstag war zweifelsohne der umsatzstärkste Tag der Woche, da die ganzen Kreativen und Trendsetter nicht so unter Terminstress standen.
    Unschlüssig blieb ich auf der Schwelle zur Küche stehen. Mein ungutes Gefühl war wohl Einbildung gewesen, zurückzuführen vielleicht auf die erhöhte Sauerstoffdosis in meinem Gehirn. Hoffentlich passierte mir das jetzt nicht andauernd.
    Ich hatte mich gerade zum Gehen gewandt, als mich ein leises Rascheln innehalten ließ. Das Geräusch war eindeutig aus dem oberen Stock gekommen, doch nun herrschte wieder Stille. Mäuse eventuell, dachte ich mir, aber irgendwie überzeugte mich diese Erklärung nicht ganz.
    Als ich mich anschickte, die Treppe hochzusteigen, war von draußen ein Motorengeräusch zu vernehmen. Ich erstarrte, während meine Pulsfrequenz sprunghaft anstieg und

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