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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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mein Hirn auf Hochtouren zu arbeiten begann. Mein Blick flog zur Eingangstür, die sich gleich neben der Küche befand und von der aus man direkt ins Wohnzimmer sah. Wenn Bastiani oder wer auch immer eintrat, würde sein Blick als erstes auf die Treppe fallen – auf der ich stand.
    Der Motor erstarb, kurz darauf war das blecherne Geräusch der zuschlagenden Tür eines Transporters zu hören. Mir blieben Sekunden. Mein erster Reflex war, die Treppe raufzurennen, doch ich besann mich rasch eines Besseren. Oben war ich gefangen, von da gäbe es kein Entkommen, das wusste ich noch aus meiner Jugendzeit, als ich intensiv Horrorfilme geguckt hatte, in denen kreischende Blondinen dies andauernd taten. Mit meist wenig appetitlichen Konsequenzen.
    Von draußen war Rufen zu hören, der Stimme nach eindeutig ein Mann. Immer noch war ich unfähig, mich zu rühren, obwohl ich wusste, dass ich keinen Atemzug länger auf der Treppe stehen bleiben durfte.
    Vor den Fenstern im Wohnzimmer glitt ein Schatten vorbei. Erneut rief jemand über den Hof, ohne dass ich etwas verstanden hätte. Gleich darauf waren von der Tür her Schritte zu hören, gefolgt vom Rasseln eines Schlüsselbundes.
    Jetzt endlich kam Bewegung in mich: Ich stürzte die Treppe hinunter und rannte durchs Wohnzimmer, stieß mir dabei das Knie an der Truhe und unterdrückte einen Schmerzensschrei, während ich weiterhumpelte. Kaum hatte ich die Tür der Vorratskammer hinter mir zugezogen, wurde diejenige vorn geöffnet.
    Geräuschlos bewegte ich mich in der Dunkelheit rückwärts, bis ich den Durchgang zum Stall hinter mir ertasten konnte. Ich unterdrückte mein Keuchen und lauschte angespannt, was sich in der Wohnung tat. Eine dunkle, etwas nasale Stimme war zu vernehmen, doch noch immer verstand ich nicht, was der Mann sagte. Schritte näherten sich und ich öffnete vorsichtshalber die Durchgangstür, bereit zur Flucht, falls die Situation es erfordern sollte. Doch dann entfernten sich die Schritte und die Stimme wieder, offenbar Richtung Küche. Der Mann sprach undeutlich, als litte er an einer Hasenscharte.
    Ich wägte gerade ab, ob ich noch weiter in der Vorratskammer ausharren oder mich durch den Stall ins Freie schleichen sollte, als mir siedend heiß einfiel, dass ich meinen Käfer auf dem Hof geparkt hatte. Direkt vor dem Bauernhaus. Ich griff mir an die Stirn und zischte eine Reihe kaum jugendfreier Begriffe auf Hindi.
    Jetzt wusste ich auch, warum der Mann vorhin gerufen hatte: Er hatte den nicht auffindbaren Fahrer des Wagens gesucht! Ich ächzte. Das war wieder einer dieser Fehler, die mir eigentlich nicht mehr unterlaufen durften. Ich war ein Profi. Langsam war es an der Zeit, dass ich mich auch wie einer benahm.
    Ich klopfte den Staub von meiner Jacke und spazierte nicht zuletzt wegen meines schmerzenden Knies betont gemächlich zu meinem Auto zurück. Dass keine Zeit geblieben war, den Riegel am Durchgang zwischen Wohnung und Stall zurückzuschieben, musste ich hinnehmen. Ich überquerte gerade den Hof, als hinter mir die Tür des Wohnhauses aufgerissen wurde.
    »Ach, da sind Sie ja! Ich habe Sie bereits gesucht!« Die Stimme klang erfreut, als sei ich ein verspäteter Gast, auf dessen Ankunft man lange gewartet hatte. Ich zwang mich zu einem betont überraschten Gesichtsausdruck, wandte mich um – und zuckte entsetzt zusammen.
    »Herr Bastiani?«, fragte ich und bemühte mich um einen festen Blick.
    »Ja, genau der bin ich«, lachte der Mann. »Kommen Sie, ich zeige Ihnen, was ich gerade so am Lager habe.« Er eilte mir entgegen und griff nach meinem Arm.
    »Äh … ich …« Mir fehlten die Worte, und das wollte etwas heißen.
    »Sellerie, Kartoffeln, Äpfel, nur Saisonprodukte und alles in Bioqualität, versteht sich«, redete Bastiani unbeirrt weiter und lenkte mich zum Bauernhaus.
    »Ich bin nicht wegen des Gemüses hier«, brachte ich endlich hervor.
    »Ach so. Wieso sagen Sie das nicht gleich?« Bastiani blieb stehen und sah mich abwartend an.
    Ich schluckte leer und versuchte, ihn nicht anzustarren. Was unmöglich war, weil er sich direkt vor mir befand. Von Nahem sah er noch erschreckender aus. Seinem Gesicht fehlte jegliche Symmetrie, als hätte sich der Schädel in der Mitte vertikal verschoben. Seine Augen waren seitlich weggerutscht und lagen tief in ihren Höhlen. Eines stand zudem höher als das andere, sehnig spannten sich die wimpernlosen Lider darüber. Auch die Brauen waren schief und fehlten rechts beinahe ganz, während von der

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