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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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doch längst, wie es läuft.«
    »Du kennst deine Mutter anscheinend nicht gut genug.«
    Ich grinste. »Ich habe nur einiges verdrängt.«
    Manju lief in den Korridor hinaus und kam kurz darauf mit einer rosafarbenen Winterjacke mit Kunstfellapplikationen zurück. Mit einem Mal wirkte sie sehr geschäftig. »Und gib Miranda meine Telefonnummer. Sie soll mich morgen anrufen. Aber nicht zu früh.«
    Ich wollte gerade auf die Sinnlosigkeit ihres letzten Satzes hinweisen, da war Manju bereits im Flur verschwunden, gleich darauf fiel die Wohnungstür ins Schloss.
    Manju hatte sich in letzter Zeit verändert. Die Verantwortung, die ihr meine Mutter – die erstmals in dem Geschäft, das sie selbst aufgebaut hatte, etwas kürzertrat – übergeben hatte, schien ihr gut zu bekommen, sie war selbstbewusster geworden. Leider hatte sie sich auch diese kühle Zielstrebigkeit ehrgeiziger Leute angeeignet, die manchmal unter Zeitdruck oder in angespannten Situationen durchbrach. Situationen, in denen ihr jeglicher Humor abhandenkam und sie sich nur noch auf die zu erfüllende Aufgabe konzentrierte. Manchmal wünschte ich, sie würde ihren beruflichen Aufstieg etwas lockerer angehen. Andererseits war das wohl der Preis für ein selbstbestimmtes Leben in diesem für sie immer noch fremden Land, ein Preis, den sie im Wissen um die Alternative – die Rückkehr nach Indien zu wenig aussichtsreichen Perspektiven – ohne zu murren bezahlte.
    Dies führte jedoch immer wieder zu Spannungen zwischen ihr und mir. Sie ließ sich zwar nichts anmerken, ihre verständnislosen Blicke fielen mir dennoch auf, mit denen sie mich heimlich bedachte, dieser leicht herablassende Ton, den sie zeitweise anschlug, wenn sie mit mir sprach. Unvorstellbar musste ihr, die aus einer der ärmsten Provinzen Indiens stammte, erscheinen, dass ich trotz einer Schulbildung, die mich einige Semester lang bis an die Uni gebracht hatte, auf die akademische Karriere verzichtet und mich stattdessen für eine wenig einträgliche und noch weniger prestigeträchtige Laufbahn als Privatdetektiv entschieden hatte. In ihren Augen war ich ein Verlierer.
    Aber ich wusste, welche Beweggründe dahintersteckten. Denn es ging nicht einzig um den sozialen Aufstieg, der Indern sehr viel bedeutete – eine gute Ausbildung und der Wille zum Erfolg waren oft der einzige Ausweg aus einem Leben in Armut.
    Wie purer Hohn musste es ihr da vorkommen, dass ich diese Möglichkeit achtlos ausgeschlagen hatte, während sich in Indien ehrgeizige und verzweifelte junge Männer den Arm abgehackt hätten, um dieselbe Chance zu bekommen. Andererseits war es ja nicht so, dass mich mein Beruf nicht forderte und mir alles in den Schoß fiel – ich hatte nur das Privileg genossen, wählen zu dürfen. Und das hatte ich genutzt, mit vollster Überzeugung. Es verlangte einem eine gehörige Portion Mut ab, sich gegen Normen und vorgezeichnete Lebensläufe zu stellen. Die Gefahr des Scheiterns hing wie ein Damoklesschwert über einem und die Häme derjenigen mit konventionelleren Werdegängen war nie weit. Man musste sich schon anstrengen, wenn man in seinem Feld bestehen wollte.
    Ich wusste nur nicht, ob Manju das verstand.
    Unentschlossen blieb ich in der Küchentür stehen, während die Glasperlenfäden über meinen Oberkörper hingen.
    »Du siehst aus wie die Tänzerin einer Burlesqueshow«, bemerkte Kathi und widmete sich gleich wieder ihren Plastiksäckchen.
    »Juhu, Burlesque!«, jubelte Aurelia und erhob sich, um mit weichen, fließenden Bewegungen, die mehr an Eurythmie erinnerten als an Burlesque, durch die Küche zu schweben.
    Kathi rollte unauffällig mit den Augen. »Und du? Noch was vor heute Abend?«
    Ich zuckte mit den Schultern. Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust auszugehen, die Sache mit meinem Vater ging mir nicht aus dem Kopf, zudem fühlte ich mich erschöpft von dem langen Tag.
    »Es ist Samstag!«, betonte sie gut gelaunt, während sie die Tütchen in ihrer Handtasche verstaute.
    »Was geht denn ab?«
    »Wir gehen auf die Blumennacht .«
    »Klingt nach Flowerpower und LSD.«
    »Nicht ganz falsch.« Kathi kicherte und blickte auf. »Kennst du nicht?«
    »Noch nie gehört.«
    »Das ist doch nicht möglich! Der Anlass des Jahres! Da wird das ganze Hive über und über mit Blumen dekoriert. Ist ’ne echt geile Fete und die Stimmung ist super! Das musst du dir ansehen!«
    Ich schnitt eine zweifelnde Grimasse.
    »Du musst mitkommen, Vijay! Du musst!« Aurelia hängte sich an meinen

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