Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
Vom Netzwerk:
hereingeritten kam. Ich wollte gerade zu ihm hinübergehen und ihn darauf hinweisen, dass er seine Limo wegschütten und zu was Härterem übergehen solle, da Blaublütler normalerweise erst bei einigen Promille Einzug hielten, als aus der wogenden Menge plötzlich Aurelia auftauchte und genau in meine Richtung steuerte. Sie wirkte etwas verloren und so schwebend, wie sie sich bewegte, erklang in ihrem Kopf wohl eine ganz andere Musik als diejenige, die im Klub gerade lief. Ich machte mich aus dem Staub, bevor sie mich entdeckte.
    Ich guckte cool und schlenderte easy die Treppe hinunter um abzuchecken, was auf dem zweiten Dancefloor abging, als Nils, der Fast-Popstar, vom Waschraum her auf mich zugestürzt kam. Ich erwartete nicht, dass er mich wiedererkannte, doch als er mich jetzt grob beiseiteschubste, griff ich nach seinem Arm und riss ihn herum.
    »He du!«
    Wie zuvor starrte er durch mich hindurch, doch diesmal zuckte ich zurück, als ich seinen leeren Blick auffing. Nils’ Augen waren weit aufgerissen, die Pupillen groß und schwarz wie Vinylsingles, seine Gesichtshaut war mit scharlachroten Flecken übersät und schweißbedeckt. Kathis Pillen schienen ihm schlecht zu bekommen. Der Kehlkopf hüpfte wie irre auf und ab, als versuchte er zu schlucken. Die Finger immer noch um sein Handgelenk geschlossen, fühlte ich seinen Puls mit mehr BPM rattern als die im Treppenhaus hohl dröhnende Discomusik. Nils’ trockene Lippen öffneten sich, als wolle er etwas sagen, doch er brachte nur einen kratzenden Laut heraus.
    Sekundenlang sahen wir uns an, dann grinste er blöde, riss sich von mir los und stolperte mit unsicheren Schritten die Treppe hinunter. Ich eilte ihm nach, doch es gelang mir nicht, ihn aufzuhalten. Immer wieder entwand er sich meinem Griff und drängelte sich zwischen anderen Leuten hindurch.
    Ich wollte gerade aufgeben – schließlich ging es mich nichts an, wenn sich Berühmtheiten der C-Klasse mit Drogen vollstopften und die Kontrolle verloren –, als Kathi um die Ecke geschossen kam und Nils festhielt.
    »Was hat er genommen?«, rief sie mir besorgt zu, während sie sich gleichzeitig bemühte, ihn in den Griff zu kriegen.
    »Keine Ahnung!«, schrie ich über die Köpfe der Leute hinweg zurück. »Das müsstest du doch besser wissen!«
    Aufgebracht blickte sie zu mir hoch. In dem Moment bäumte sich Nils auf und schlüpfte blitzschnell an einer Gruppe junger Frauen mit strengen Kurzhaarfrisuren und Militaryhosen vorbei zum Ausgang.
    »Verdammt!«, fauchte Kathi und gemeinsam rannten wir ihm hinterher. Wir entdeckten ihn auf dem Vorplatz des Klubs, der das Ende eines langen und schmalen Hinterhofs bildete.
    Nils torkelte orientierungslos über den Platz, immer wieder hielt er inne und sah sich verwirrt um. Als er uns wahrnahm, lachte er hysterisch auf. Ein Lachen, das schriller wurde, je näher wir kamen, und in einen hohen, krampfartigen Schrei mündete. Er schlug wild um sich, als Kathi ihn anfassen wollte, und erschrocken trat sie einen Schritt zurück.
    »Geh weg! Verschwinde! Lass mich allein! Lasst mich alle allein, verdammt!«, schrie er, längst nicht mehr an Kathi gerichtet, sondern an ein unsichtbares Publikum.
    »Was hast du genommen?«, flüsterte sie ihm halblaut zu, sodass der Türsteher, der uns alarmiert beobachtete, sie nicht hören konnte. Doch Nils blieb ihr die Antwort schuldig. Er jauchzte auf und begann, sich zu drehen. Seine Glieder zuckten unkontrolliert, während er immer schneller um seine eigene Achse tanzte, er schien ganz in seinen Bewegungen zu versinken. Endlich wurde er langsamer, sackte dann jäh in sich zusammen und blieb zitternd stehen.
    »Nils«, flüsterte Kathi sanft. Sie klang jetzt äußerst besorgt, wagte es aber noch nicht, sich ihm zu nähern, sondern streckte nur die Hand nach ihm aus. Leise begann er zu weinen. Sein ganzer Körper erschauderte und endlich ließ er es zu, dass ihn Kathi anfasste. Sie drückte ihn behutsam an sich und strich ihm das verschwitzte Haar aus der Stirn, während er sich erschöpft an sie lehnte, die Augen immer noch weit aufgerissen, als hätte er etwas Schreckliches gesehen. Dann, mit einer abrupten Bewegung, trat er einen Schritt von ihr weg und breitete die Arme aus.
    »Spürt ihr das auch?«, wisperte er mit brüchiger Stimme. »Der leichte Wind, der uns hochträgt, weit nach oben, bis zu den Sternen?«
    Beinahe andächtig sah er aus, als er jetzt mit geschlossenen Augen dastand. »Ich spüre, wie mir Flügel wachsen,

Weitere Kostenlose Bücher