Uferwechsel
angetroffen, hatte mir eine von Manjus Mitbewohnerinnen letzthin erzählt. Doch solange nichts Konkretes verlautbar wurde, hatten sie vor, in der Wohnung zu bleiben.
Die Tür war nur angelehnt, da ich bereits unten geklingelt hatte. Der von ordentlich aufgereihten Schuhen gesäumte Flur führte geradeaus zu der Küche, die mit einem Glasperlenvorhang abgetrennt war. Die Oberflächen der beiden Kommoden und des Sideboards im Korridor quollen vor niedlichen Sachen über. Nippes, Krimskrams, halb niedergebrannte Kerzen und leere Zigarettenschachteln, Plüschtiere und Plastikfigürchen, wie man sie nur in Wohnungen junger Frauen antrifft.
Wie ein Ding aus einer anderen Welt wirkte da der voluminöse schwarze Dildo, der so an der Garderobe befestigt war, dass seine Spitze weit in den Flur ragte. Heute baumelte eine Umhängetasche daran. Ein Geschenk ihrer Freunde, hatte mir Katharina verraten, eine von Manjus Mitbewohnerinnen, die jedoch meist Kathi gerufen wurde. Nur manchmal, an gewissen Abenden, nannte man sie Special K . Was mit ihrem umfangreichen Angebot an illegalen Substanzen zu tun hatte, das sie in den Klubs verhökerte. Meine Bedenken hinsichtlich ihres Einflusses auf Manju hatten sich rasch verflüchtigt, denn Kathi konsumierte selbst offenbar keine Drogen.
Ein dumpf hoppelnder Bass erklang aus der Küche, darüber malte eine Querflöte orientalisch klingende Melodie bögen. Ich schob die Glasperlenfäden zur Seite und da saßen sie zu dritt am Küchentisch im Halbdunkel, Kerzen erleuchteten ihre Gesichter, vor ihnen gefüllte Schnapsgläser und eine Tequilaflasche.
»Cooler Sound«, sagte ich und setzte mich zu den drei Damen.
» Tranceflute , der beste Beweis, dass geile Klubmusik auch aus Zürich kommen kann«, klärte mich Kathi auf, während sie ein winziges Glas vom Regal hinter sich nahm und es mit auffordernder Miene vor mich hinstellte.
Wir benetzten die Haut des Handrückens zwischen Daumen und Zeigefinger mit etwas Zitronensaft, streuten Salz in die Kuhle, prosteten uns zu und leckten es ab. Daraufhin stürzten wir den mexikanischen Schnaps hinunter und bissen am Ende in die Zitronenscheibe. In mir zog sich alles zusammen, nur um umgehend einer wohltuenden Wärme Platz zu machen.
Die Frauen lachten auf. Während Kathi, die kurz geschnittene blonde Haare trug und eindeutig zu viel Kajal um die Augen, kleine Portionen irgendeines Pulvers in Plastiksäckchen abpackte, bedeutete ich Manju, dass ich mit ihr reden wollte. Unter vier Augen.
»Wo geht ihr hin?«, quäkte die dritte im Bunde, die einzige, die ich nicht wirklich mochte. Lehrerin an einer renommierten Privatschule, hatte Aurelia oft den Drang, nach ein paar Drinks Kinderlieder anzustimmen, die sie dann mit allen Anwesenden einstudieren und möglicherweise sogar im Kanon singen wollte. Zu Letzterem war es meines Wissens glücklicherweise noch nie gekommen. Ich hatte stets das Gefühl, als rede sie mit mir wie mit einem kleinen Kind, während sie ihre Kulleraugen rollte und lustig die gelockten Haare schüttelte.
»Wir sind gleich wieder da«, sagte Manju und wies auf die halbe Zitrone, die auf einem Schneidebrett neben der Tequilaflasche lag. »Könntest du den Rest auch noch in Scheiben schneiden?«
»Au ja!«, frohlockte Aurelia und griff trällernd nach der Zitrusfrucht.
»Ich bin in Eile. Was ist denn?«, fragte Manju, als sie meinen besorgten Gesichtsausdruck im helleren Licht ihres Zimmers bemerkte. Dieses wirkte im Gegensatz zum Flur aufgeräumt und war geradezu spartanisch eingerichtet. Ein einfaches Bett stand in der einen Ecke, in der anderen befand sich ein Kleiderschrank. Dazwischen hatte es gerade genügend Platz für einen indisch aussehenden Salontisch und drei Sitzhocker. An der Wand über dem Bett hing ein Poster von Shahrukh Khan, dem wohl erfolgreichsten indischen Schauspieler, auf dem Fenstersims reihten sich Öllämpchen.
Kaum hatte ich zu erzählen begonnen, was mit meinem Vater los war, unterbrach mich Manju. Sie war von meiner Mutter bereits informiert worden.
Von der Aushilfe, die wir ihr ungefragt zugeteilt hatten, wusste sie allerdings noch nichts. »Miranda?«, fragte Manju erstaunt, doch sie wirkte keineswegs so schockiert, wie ich befürchtet hatte.
Sie runzelte nur die Stirn und schien zu überlegen. »Kann die kochen?«
»Sie sagt es zumindest.«
Manju sah mich zweifelnd an. »Ich muss gleich los, in den Laden. Deine Mutter will mir alles ganz genau erklären, bevor sie geht.«
»Aber du weißt
Weitere Kostenlose Bücher