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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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Arm, die Stimme einer Fünfjährigen imitierend, die darum bettelt, noch zehn Minuten länger aufbleiben zu dürfen.
    Ich befreite mich etwas unwirsch von ihr und erklärte, dass ich noch telefonieren müsse, danach würde ich mich entscheiden.
    Kathi grinste wissend, während Aurelia einen Schmollmund zog.
    »Das wird dir guttun. Du kannst jetzt nicht allein zu Hause sitzen und Trübsal blasen.« Miranda steuerte mich die Treppe des Hive hinauf, einen der angesagtesten Klubs im Zürcher Industriequartier. Sie hatte begeistert reagiert, als ich ihr vorhin das Angebot meiner Mutter unterbreitet hatte, und mich spontan zu einer Flasche perlendem Irgendwas eingeladen. Danach war es ihr nicht mehr schwergefallen, mich zu der Party zu überreden. Noch zweifelte ich an der Richtigkeit meiner Entscheidung, zudem nagte das schlechte Gewissen an mir, dass ich ausging, während mein Vater litt.
    »Du kannst auch nichts für ihn tun«, hatte Miranda versucht, meine Bedenken zu zerstreuen. Sie steckte in einem geblümten, bauschigen Kleid und trug einen auffälligen Hut, den man leicht für einen gigantischen Blumenstrauß hätte halten können. Ihr Argument überzeugte mich nicht ganz, aber jetzt war ich nun mal hier – auch wenn ich nicht vorhatte, lange zu bleiben.
    Wie Kathi prognostiziert hatte, war alles mit Blumen dekoriert. Üppige und farbenfrohe Bouquets bedeckten die Wände und hingen von der Decke, waren an Geländern befestigt und ragten aus übergroßen Vasen – ein wogendes Blütenmeer, das den düsteren Klub in ein buntes Märchenland verwandelte und meine beinahe ebenso düsteren Gedanken vertrieb.
    Vor der Garderobe hatte sich bereits eine lange Schlange gebildet, doch Miranda zog mich kurzerhand daran vorbei, in den Klubraum hinein, wo sie mir die Jacke abnahm und dem sehr jung wirkenden DJ hinter den Plattentellern übergab, den sie augenscheinlich bestens kannte. Nachdem sie die Zunge wieder aus seinem Mund gezogen hatte, grinste sie mich an und begann, sich lasziv zu der Musik zu verrenken. Ich wollte ihr nicht im Weg stehen, holte mir ein Bier an der Bar und stellte mich in eine Ecke, von wo aus ich eine prima Aussicht auf die Tanzfläche hatte.
    Es war bereits nach Mitternacht und der Klub füllte sich zusehends. Das Publikum war bunt gemischt, die Überzahl an Männern in zu engen Trägershirts, die alle miteinander verwandt zu sein schienen oder zumindest denselben Friseur hatten, wurde mir erst nach einer Weile bewusst.
    Im Durchgang, der in eine Art Lounge führte, tauchte jetzt Kathi auf, sie war umringt von einer Schar quirliger Jungs, die offensichtlich ein ebenso unverkrampftes Verhältnis zu Mascara hatten wie zu bunten Pillen. Denn Letztere legte Kathi gerade mehr oder weniger unauffällig ihrer Gefolgschaft in den Mund, einem nach dem anderen, wie eine Hostien verteilende Hohepriesterin. Ihr ärmelloses schwarzes Kleid mit dem auffallenden Blumenkragen enthüllte dabei schonungslos, wie beleibt sie eigentlich war. Sie verfügte im Gegensatz zu anderen Leuten über ein zusätzliches Kinn, dafür fehlte ihr irgendwie der Hals. Der Kopf schien direkt zwischen den Schultern zu sitzen und verdeckte beinahe die kleine Tätowierung unter ihrem rechten Ohr, die einen farbenprächtigen Schmetterling darstellte. Teigig quollen die Arme aus dem Kleid und ihre Schenkel, die sich prall unter dem glänzenden Stoff abzeichneten, schienen im oberen Teil zusammengewachsen. Was sie nicht davon abgehalten hatte, sich in Plateauschuhe aus schwarzem Lack zu zwängen, ihre Hände steckten in Netzhandschuhen derselben Farbe, die bis zu den Ellbogen reichten. Kathi war, was man gemeinhin eine Fag Hag nannte: eine Frau, deren Freunde ausnahmslos schwul waren und die selbst wohl selten in den Genuss körperlicher Freuden kam. Was ihrer guten Laune keinen Abbruch tat.
    Sie kam mit ausgebreiteten Armen auf mich zu, während die mit Pillen beglückten Jungs schnatternd um sie herumschwirrten.
    »Du bist also doch gekommen!«, schrie sie gegen die wummernden Bässe an.
    Ich grinste etwas verlegen, denn ihre Gefolgschaft musterte mich gerade unverhohlen. Frischfleisch hatte mich Paul in der Bar genannt, und das war ich wohl auch hier.
    »Ich will dir jemanden vorstellen«, brüllte mir Kathi ins Ohr und schnappte sich mit sicherem Griff einen Jungen mit käsigem Teint aus der Schar, den sie jetzt am Arm zu sich heranzog.
    »Das ist Nils«, stellte sie mir den pummeligen Burschen vor, der seine beginnende Glatze zu

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