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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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Abdeckung des nächstliegenden Containers angehoben hatte und das Rascheln von Abfallsäcken zu vernehmen war. Ich bewunderte ihre Geistesgegenwart trotz der verheerenden Umstände. Schon in wenige Minuten würden die Bullen eintreffen, da war es wenig vorteilhaft, wenn einem ein mit Drogen vollgestopfter Beutel am Arm baumelte.
    Später würde Kathi die Handtasche samt den Tütchen wieder aus dem Container holen, daran bestand nicht der leiseste Zweifel.
    Ich fragte mich, was sie den Jungs verabreicht hatte. Nils hatte das Gefühl gehabt, fliegen zu können, deswegen war er auch auf das Geländer des Viadukts geklettert. Andererseits schien er der Einzige zu sein, der diese Wirkung verspürt hatte. Der Rest von Kathis Gefolgschaft war, wenn auch etwas exaltiert, so doch im normalen Rahmen auf der Tanzfläche herumgezappelt. Auch hatten sie nicht so mitgenommen ausgesehen wie Nils. Die rotfleckige Haut, die geweiteten Pupillen, die offensichtlichen Schluckbeschwerden.
    Ich blickte zum Lettenweg hoch, zum Geländer, von dem der Bursche heruntergesprungen war, bevor ich mich erneut zu seiner Leiche hinunterbeugte. Nils’ Gesichtszüge wirkten im Mondlicht gelöst. Was ich jedoch erst jetzt bemerkte, waren die dunklen Schatten, die auf seiner Haut lagen. Ich drückte auf mein Handy, das ich immer noch in der Hand hielt, und benutzte es als Taschenlampenersatz, bevor ich auf die Knie sank und vorsichtig seinen Kopf zu mir hindrehte. Als der Schein der Anzeige auf das leblose Antlitz fiel, erschrak ich: Nils’ Gesicht war bläulich angelaufen, die Lippen waren leicht geöffnet und lila.
    »Was hast du ihm gegeben?«, rief ich Kathi entgegen, die gerade zurückkehrte. Sie war blass unter der ganzen Schminke und machte einen aufgelösten Eindruck.
    »Was meinst du?«
    »Jetzt spiel nicht die Unschuldige! Es war ja nicht zu übersehen, wie du deine Jungs mit Pillen versorgt hast.«
    »Aber nicht Nils! Der wollte nichts, weil er am Montag einen wichtigen Termin hatte.«
    »Bist du sicher?« Zweifelnd deutete ich zur Leiche hinüber.
    Vorsichtig ging Kathi auf sie zu. »Ja, ganz sicher. Er hat etwas von einem Neuanfang ge…« Kathis entsetzter Schrei ließ mich zusammenfahren. Sie stolperte rückwärts und klammerte sich an mich.
    »Mein Gott – das sieht ja grässlich aus«, flüsterte sie. »Ich schwöre, ich hab ihm nichts gegeben. Was immer er genommen hat, er muss es anderswo herhaben.«
    Von Weitem waren jetzt die Polizeisirenen zu hören, sie näherten sich rasch.
    »Nach welcher Substanz sieht das für dich aus?«, erkundigte ich mich bei Kathi.
    Zögernd kauerte sie sich neben den Toten und betrachtete ihn eingehend. »Ich weiß es nicht«, sagte sie nach einer Weile. »Er sieht aus, als wäre er erstickt. Es gibt Drogen, die bewirken bei Überdosis eine Atemlähmung.«
    »Welche Drogen?«
    »Ich bin mir nicht sicher. Aber es muss etwas ziemlich Heftiges gewesen sein.«
    Frierend blieben wir stehen, etwas abseits, um niemandem den Weg zu versperren, und sahen benommen der hektischen Betriebsamkeit zu, während das Blaulicht tonlos über die steinernen Pfeiler des Viadukts zuckte. Zwei Beamte hatten eilig das Gelände abgesperrt, derweil Sanitäter die Leiche bargen. Schnell hatte sich eine Schar Gaffer eingefunden, es war beinahe vier Uhr in der Früh und die ersten Partypeople gingen nach Hause oder wechselten die Location. Glücklicherweise war der Rand der Josefwiese, wo Nils lag, schwer einsehbar, und so verzogen sich die meisten rasch wieder, nur um sogleich von neuen Schaulustigen abgelöst zu werden. Jedes Mal war es das Gleiche: Flüsternd wurde weitergegeben, was hier vorgefallen war, worauf die anfängliche Neugier rasch Betroffenheit wich, als den zum Teil noch sehr jungen Menschen bewusst wurde, dass es einer der Ihren war, der dort lag. Vielleicht erfuhren sie hier zum ersten Mal, wie zerbrechlich ihr Dasein in Wahrheit war.
    Nachdem wir unsere Aussage einer schneidigen Polizistin zu Protokoll gegeben hatten, blieben wir in der Nähe, bis Nils’ Leiche auf eine Bahre gehievt, in einem grauen Sack an uns vorbeigetragen und in die Ambulanz verladen war.
    Kathi hatte stumm und mit weit aufgerissenen Augen das Geschehen verfolgt. Wie ein erschrockenes kleines Mädchen, das noch nicht ganz begriffen hatte, was um sie herum geschah. Jetzt, als sich die Türen des Krankenwagens langsam schlossen, schluchzte sie auf und schob ihre Hand in meine. Knirschend rollte der Wagen über den Kiesweg und bog dann ab,

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