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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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seine Füße waren nackt.
    Unschlüssig blickte ich ihm hinterher, bis mich Kathi anstieß und flüsternd drängte, ihm zu folgen. Wir betraten einen engen Flur, dessen Boden mit roten Tonplatten ausgelegt war. Rechts befand sich ein Schuhgestell, auf dem Turnschuhe und Sandalen aufgereiht waren, darüber war eine Garderobe aus Gusseisen an die Wand montiert. Deckenlampen sorgten für ein warmes Licht, weiter vorn, beinahe am Ende des Ganges, hing eine gerahmte Kinderzeichung, auf der mit viel Fantasie ein Engel zu erkennen war.
    Als wir in die großräumige Küche gelangten, lehnte Marwan mit verschränkten Armen am Spülbecken und musterte uns aufmerksam. Stumm deutete er auf die Stühle, die um einen rechteckigen, unbehandelten Holztisch herumstanden. Ich setzte mich Kathi gegenüber, doch er machte keine Anstalten, sich zu uns zu gesellen.
    »Tee?«, fragte er mit überraschend tiefer Stimme.
    Ohne eine Antwort abzuwarten, wandte er sich dem Herd zu. Nachdem er den elektrischen Wasserkocher eingeschaltet hatte, öffnete er einen Schrank und entnahm ihm drei Tassen.
    Marwan war groß gewachsen, sein Gesicht schmal und die Nase auffällig gebogen. Unter den Augen lagen dunkelviolette Schatten, sein Bart spross unregelmäßig um die etlichen kahlen Stellen an Kinn und Wangen, die Haare kringelten sich dort wie im Schambereich. Seine Bewegungen, die ich aufgrund seines schlaksigen Körperbaus fahriger erwartet hatte, waren präzise und kraftvoll, jeder Handgriff saß, kein Schritt war zu viel.
    Libanese sei er, hatte Kathi gesagt, als sie uns hierhergeführt hatte, und beschäftige sich mit mystischen Dingen. Ich hatte eingewendet, dass wir wohl eher jemanden bräuchten, der sich mit Drogen auskannte, doch sie hatte sich nicht davon abbringen lassen.
    Das Wasser kochte und Marwan schüttete es in einen Krug, in den er zuvor irgendwelche Kräuter geworfen hatte. Dann platzierte er die drei Tassen auf dem Tisch und stellte den Krug in die Mitte. Erst jetzt setzte er sich. Das Licht der tief hängenden Lampe kerbte Schatten in sein Gesicht, als er andächtig den Tee ausschenkte.
    »Zucker habe ich leider keinen.«
    Er blickte uns abwartend an. »Also?«
    Kathi räusperte sich und fasste die Ereignisse des Abends so kurz wie möglich zusammen, während ich nach dem Kartenspiel griff, das auf dem Tisch lag. Ich hatte mir kaum die erste Karte angeguckt, als mir Marwan den Stapel mit sanfter Bestimmtheit wieder aus der Hand wand und ihn an seinen Ort zurücklegte. Er hatte mich dabei nicht eine Sekunde lang angesehen, sondern aufmerksam Kathi zugehört. Mir hingegen hatte die eine Karte genügt, um zu wissen, dass es sich dabei um Tarotkarten handelte. War es das, was Kathi vorhin mit ›mystisch‹ gemeint hatte? War er deshalb über unseren unangemeldeten Besuch mitten in der Nacht nicht erstaunt gewesen, weil Esoteriker gängige Praxiszeiten als einengend empfanden? Andererseits war das, was ich bis anhin von seiner Wohnung gesehen hatte, nüchtern, ja beinahe bieder eingerichtet. Keine Traumfänger und bunten Tücher, Kerzen, Bronzeschalen, Federn, Amulette, Steine und was ich mir sonst noch unter einer esoterischen Wohnungseinrichtung vorstellte. Ich beschloss, abzuwarten und den Mann nicht schon im Vorfeld zu verurteilen. Immerhin hatte ich bislang keine Bücher von Paulo Coelho entdeckt, das stimmte mich schon mal zuversichtlich.
    »Und das haben wir in seiner Jacke gefunden«, schloss Kathi ihren Bericht und holte dazu den Tiegel aus ihrer Handtasche. Marwan griff nicht sofort danach, er legte nachdenklich seine langen Finger gegeneinander und versank in Brüten. Kathi und ich tauschten einen Blick aus und sie bedeutete mir mit einer verhaltenen Handbewegung, Geduld zu haben. Was mir schwerfiel. Doch angesichts meiner neu entdeckten Reife hielt ich mich zurück und trank einen Schluck Tee, der erstaunlicherweise auch ohne Zucker vorzüglich schmeckte.
    Endlich langte Marwan wortlos nach der Salbe, öffnete den Deckel des Behälters und roch daran, mit geschlossenen Augen und einem Gesichtsausdruck, als säße er im Beautysalon und erwarte gleich eine Peelingmassage. Der Ausdruck verschwand jedoch jäh von seinem Antlitz, er schlug die Augen auf und sah uns aufrichtig erschrocken an.
    »Ist einer von euch mit diesem Zeug in Berührung gekommen?«
    Synchron schüttelten Kathi und ich den Kopf.
    »Wir haben nur daran gerochen.«
    »Und ihr hab sicher nicht den Finger reingesteckt oder noch schlimmer, davon

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