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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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darauf hin, dass die Paste tödlich war. Davon ging wohl die größte Gefahr aus.
    »Woher könnte er sie bekommen haben?«
    Kathi bearbeitete ihre Unterlippe. »Ich weiß es nicht, aber ich werde es herausfinden. Ich habe genügend Kontakte. Wer auch immer Nils die Salbe verkauft hat, hat ihn nicht auf die tödliche Gefahr hingewiesen. Das ist nicht nur fahrlässig, das ist Mord!« Kathis Hände ballten sich zu Fäusten. »Wenn man Drogen verkauft, die eine derart unkontrollierbare Wirkung haben, ist man als vertrauenswürdiger Dealer verpflichtet, die Leute zu warnen. Das liegt nicht zuletzt im Eigeninteresse, denn wer will schon einen Stammkunden verlieren? Das ist schlecht für den Ruf und auch fürs Geschäft.«
    »Und wenn das Absicht gewesen ist?«, gab ich zu bedenken.
    »Hä?«
    »Wenn ihm jemand die Salbe verkauft hat, ohne ihn aufzuklären, wie sie dosiert wird.«
    »Du meinst, wenn ihn jemand damit umbringen wollte?«
    »Wäre ja möglich.«
    Kathi bedachte mich mit einem ärgerlichen Blick. »Du gehst zu sehr in deinem Job auf. Du kannst gar nicht mehr abschalten, du denkst nur noch wie ein Detektiv und siehst überall Mörder und Verbrechen. Nils hatte keine Feinde … Na ja, natürlich Neider und ein paar Leute, die er aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr grüßte, das übliche Hickhack unter Schwulen. Aber umbringen wollte ihn sicher keiner.«
    Kraftlos ließ sie sich in den Stuhl zurücksinken. »Ich möchte einfach begreifen, weshalb Nils sterben musste. Er war noch so jung und voller Leben, er hatte so viele Pläne …« Eine Träne lief ihr übers Gesicht. Entschlossen wischte Kathi sie weg. »Wir waren uns sehr nahe, weißt du.«
    Ehe ich etwas erwidern konnte, kehrte Marwan zurück. Mit feierlicher Miene legte er ein dickes, in Leder gebundenes Buch in die Mitte des Tisches, aber nicht ohne vorher mit der flachen Hand überprüft zu haben, ob dessen Oberfläche auch wirklich sauber war.
    »Hier. Ich hab mich plötzlich daran erinnert, das Buch liegt seit Jahren unbenutzt herum.«
    Er blies den Staub vom Einband, bevor er die Schwarte aufschlug, dann befeuchtete er seinen Zeigefinger und begann, gezielt darin zu blättern. Neugierig beugte ich mich vor, um einen Blick auf die vergilbten Seiten zu erhaschen, die Skizzen und Farbtafeln, mit denen ich nichts anzufangen wusste.
    Ein modriger Geruch ging von dem Buch aus, als hätte es in einem feuchten Keller gelegen, was ich mir nicht vorstellen konnte. Schon allein die Behutsamkeit, mit der Marwan das Werk hereingetragen hatte, war ein Hinweis dafür, wie wertvoll es sein musste.
    Plötzlich erhellte sich Marwans konzentrierte Miene. Vorsichtig strich er eine Doppelseite glatt und deutete auf ein paar Zeilen, die über einem längeren Textabschnitt standen. Sie waren in Fraktur geschrieben und auf dem Kopf stehend unleserlich für mich.
    »Aconitum napellus, Hyoscyamus niger, Folia malvae, Solanum nigrum, Potentilla reptans, Papaver somniferum, Atropa belladonna, Conium maculatum, Helleborus niger«, las Marwan mit der monotonen Stimme eines katholischen Priesters vor, was in meinen Ohren entfernt nach den Zaubersprüchen bei Harry Potter klang.
    »Mit dieser Mixtur wird die Salbe angesetzt. Dazu kommt Alkohol, das Ganze wird dann zehn Tage lang an die Sonne gestellt, bevor man es abseiht und mit Fett zu einer Pomade verrührt.« Er klappte das Buch zu, lehnte sich zurück und sah uns abwartend an.
    »Marwan, ich habe leider kein Wort verstanden«, meldete ich mich kleinlaut zu Wort und Kathi pflichtete mir nach kurzem Zögern bei.
    »Ach so.« Rasch blätterte er zu der Stelle zurück und fuhr mit der Fingerspitze die Wörter entlang, während er sie für uns übersetzte.
    »Also, wir haben da blauen Eisenhut, schwarzes Bilsenkraut, Malvenblüten, schwarzen Nachtschatten, kriechendes Fingerkraut, Schlafmohn, Tollkirsche, Fleckenschierling und Christrose. Beinahe alles Nachtschattengewächse, die Wirkung verstärkt sich übrigens, wenn man die Gifte kombiniert …«
    »Was war das eben?« Wie elektrisiert war ich zusammengezuckt, als er die Pflanzennamen aufgezählt hatte, jetzt griff ich nach dem Buch und drehte es hastig zu mir hin. »Atropa belladonna?«, entzifferte ich und hob fragend den Kopf.
    »Der lateinische Begriff für Tollkirsche.«
    Mein Puls schnellte hoch. Chester, der Beagle von Erwin Schmied, hatte eine Tollkirsche gefunden – ganz in der Nähe von Saids Leiche. Bedeutete das vielleicht, dass der Mord an Said etwas mit dem

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