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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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der Liebe und bei der Arbeit.«
    Binsenweisheiten. Marwan sammelte die Karten wieder ein.
    »Und steht da auch etwas über meinen aktuellen Fall? Wer der Mörder war oder so?«
    Marwans Miene wurde steinern und Kathi schürzte missbilligend die Lippen. Das war es, was mich an allen Esoterikern, die ich bislang kennengelernt hatte, so nervte: Sie waren humorloser als amerikanische Zollbeamte und nahmen sich genauso ernst.
    Andererseits war ich beeindruckt, was Marwan alles aus den Karten gelesen hatte. Vieles war korrekt gewesen und was die Zukunft betraf, konnte ich nicht nur wohlgemut vorausblicken, ich durfte sogar gespannt sein. Vor allem auf den Teil mit den Frauen.
    Es war immer noch dunkel, als ich Kathi nach Hause begleitete. Vereinzelt fielen Schneeflocken. Eine Straßenbahn fuhr an uns vorbei, einzig eine ältere Frau war darin auszumachen, ansonsten waren beide Waggons leer.
    Kathi ging still und aufrecht neben mir. Mir fiel auf, dass ihre Schritte zu gleichmäßig waren, ihre Bewegungen mechanisch, wie die einer batteriebetriebenen Puppe. Doch erst als wir die Zwinglistrasse erreicht hatten und Kathi bereits im Hauseingang stand, flossen die Tränen. Rasch verbarg sie ihr Gesicht in den Händen, doch als ich auf sie zuging und sie festhielt, löste sich die Anspannung der vergangenen Stunden und ihr Körper wurde plötzlich schwer.
    Sie schluchzte laut und schnappte immer wieder geräuschvoll nach Luft. Ihre Schultern zitterten und ich flüsterte ihr bescheuerte Dinge zu, wie man sie sagt, wenn es eigentlich nichts zu sagen gibt, aber schon der Klang einer Stimme Trost spenden kann. Ich drückte sie an mich und so blieben wir stehen, bis der Himmel sich zu verfärben begann und das Schlimmste vorbei war, dann suchte ich in ihrer Handtasche nach einem Taschentuch.
    »Danke«, schniefte sie und wischte sich die Tränen weg. Ihr Gesicht war ganz heiß und fleckig geworden. Nichts erinnerte mehr an die coole Hohepriesterin, die noch vor wenigen Stunden bunte Pillen an ihre flatterhafte Jüngerschar verteilt hatte und nicht allein deswegen der Mittelpunkt des Geschehens gewesen war. Vielmehr stand ein dickliches Mädchen vor mir mit verschmiertem Make-up und einem überkandidelten Kleid, das ihr deutlich zu eng war.
    Kathi schloss die Haustür auf und ich folgte ihr schlotternd in die Wärme.
    »Ich kann noch nicht rauf«, flüsterte sie, als befürchtete sie, jemanden zu wecken. Ich verstand zwar nicht ansatzweise, wie Kathi jetzt der verlockenden Aussicht auf ein kuscheliges Bett widerstehen konnte, dennoch setzte ich eine verständnisvolle Miene auf, als würde es mir genauso gehen.
    Wir ließen uns auf den untersten Stufen der Treppe nieder und sie zündete sich eine Zigarette an, während mit einer jähen Gier alles in mir nach einem einzigen Zug lechzte. Ich konzentrierte mich mit meiner ganzen Willenskraft auf die erotisch vielversprechende Zukunft, die mir Marwan prophezeit hatte, und nach wenigen Sekunden war mein Verlangen vorbei.
    »Gestern Abend noch haben wir über seine weiteren Karriereschritte geredet. Also er hat vor allem geredet …« Kathi stieß den Rauch mit einem wehmütigen Seufzer aus. »Und jetzt lebt er nicht mehr. Alles löst sich auf, wenn jemand geht, seine Ziele, seine Beziehungen, alles, was ihn ausgemacht hat. Das ist so schwer zu begreifen.«
    Gedankenverloren starrte sie auf die glühende Zigarettenspitze. Nach einer Weile hob sie den Kopf. »Er hatte etwas vor. Etwas, das alles ändern würde.«
    »Was wollte er denn so dringend ändern? Ich dachte, er war zufrieden mit seinem Promistatus.« Nicht, dass mich irgendetwas an Nils’ Plänen interessiert hätte, ich fragte vielmehr nach, um Kathi abzulenken und vielleicht auch aus Respekt vor dem Toten.
    Kathi stülpte die Unterlippe vor. »Er gab sich geheimnisvoll und sagte nur, dass ihn bald niemand mehr auf so etwas Oberflächliches wie Sexualität reduzieren werde. Er werde ein richtiger Künstler sein, ein erfolgreicher.«
    »Und wie wollte er das anstellen?«
    »Keine Ahnung. Jedenfalls hätte das ein Bekannter von ihm auch getan …«
    »Was getan? Ich verstehe nur Bahnhof!«
    Kathi wackelte eifrig mit dem Kopf. »Genau so ging es mir gestern auch! Nils hat die ganze Zeit nur Anspielungen gemacht. Wollte ich Genaueres wissen, hat er geblockt.« Sie zog an ihrer Zigarette. »Am Ende war ich so genervt, dass ich mich bei Freunden nach diesem Typen erkundigt habe.«
    »Und?«
    »Er hat sich umgebracht.«
    »Was? Weshalb

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