Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
Vom Netzwerk:
denn?«
    »Niemand wusste es genau. Er war ein Einzelgänger, unscheinbar, kein Hingucker wie Nils. Er hätte kurz vor seinem Tod gesagt, dass er dieses Leben satt sei, er würde jetzt alles ändern.«
    »Klingt verzweifelt.«
    Kathi stimmte mir zu. »Er hatte keine wirklichen Freunde, deswegen war es auch unmöglich, herauszufinden, was wirklich geschehen ist. Aber Gerüchte gab es massig.«
    »Und die besagten?« Hatte ich Kathis Ausführungen bis anhin eher unbeteiligt gelauscht, war nun meine Neugier geweckt. Immerhin gab es die – wenn auch eher unwahrscheinliche – Möglichkeit, dass Nils’ Tod etwas mit der Ermordung von Said zu tun hatte. Und damit vielleicht auch mit dem Selbstmord des Jungen, von dem Kathi gerade erzählte, denn beide hatten etwas Geheimnisvolles vorgehabt, wollten sich verändern. Etwas, das ich normalerweise als wichtigtuerisches Gelaber abgetan hätte, geäußert von Leuten, die sich nach Aufmerksamkeit sehnten und dafür alles tun würden. Doch jetzt waren beide Burschen tot. Das war mir Grund genug, konzentriert zuzuhören.
    »Der Junge hat herumerzählt, dass er sich in einen anderen Menschen verwandeln werde und danach all seine Probleme gelöst sein würden. Vier Wochen später fand ihn seine Mutter erhängt im Dachstock.«
    »Wusste das Nils auch?«
    »Keine Ahnung. Gerade als ich ihn damit konfrontieren wollte, hat man mich alarmiert, dass er im Toilettenraum sei und sich sehr merkwürdig benehme. Ich bin sofort losgerannt. Den Rest kennst du ja.«
    Kathis Blick blieb an mir hängen. »Vielleicht könntest du dem mal nachgehen und mit den Eltern des anderen Jungen reden. Es könnte ja sein, dass die wissen, was er vorhatte …«, sagte sie nach einer Weile leise. »Ich schaff das jetzt nicht.«
    »Ich stecke über beide Ohren in einem schwierigen …«
    Sie ließ den Kopf hängen und schniefte. »Ich weiß. Es ist nur … Ich mochte Nils sehr gern. Und ich …«
    »Okay, okay, ist ja gut, ich mach’s«, gab ich klein bei und fluchte innerlich. Ausgerechnet ich sollte nun den Tod eines C-Promis hinterfragen.
    Erfreut drückte Kathi mir einen Schmatzer auf die Wange.
    »Wie hieß der Junge?«, erkundigte ich mich unwirsch.
    »Kevin.«
    »Grund genug, sich umzubringen.«
    »Ich befürchte, der Name allein war’s nicht.«
    »Seinen Nachnamen müsste ich allerdings schon kennen, bevor ich Nachforschungen anstelle.«
    »Warte.« Sie nestelte ihr Handy aus der Handtasche und tippte darauf herum. »Ich kann mir einfach nicht vorstellen, worum es da ging«, bemerkte sie, während sie auf eine Antwort wartete. »Nils hat mir sonst immer alles erzählt. Oft mehr, als ich wissen wollte.« Kathi lächelte schwach. »Doch bei dem Thema blieb es bei Anspielungen. Aber es musste etwas Wichtiges sein. Ein Einschnitt im Leben, so hat es Nils bezeichnet.«
    Ein elektronisches Piepen meldete den Eingang einer Nachricht. Wir waren offenbar nicht die Einzigen, die noch wach waren.
    »Steiner, hieß er, Kevin Steiner«, ließ mich Kathi nach einem Blick auf das Display wissen.
    »Klingt nicht gerade prickelnd, aber ich kann seinen Eltern noch heute einen Besuch abstatten. Nur etwas später, wenn das okay ist.«
    Erschöpft rang sie sich ein Lächeln ab. »Wenn du willst, kannst du hier schlafen. Auf dem Sofa ist immer Platz.«
    Ich linste auf die Zeitangabe ihres Telefons, das sie immer noch umklammert hielt, und lehnte ab. »Ich habe meinen Eltern versprochen, sie zum Flughafen zu fahren. Dazu wären nach einer solchen Nacht sicher frische Klamotten angebracht. Zuallererst brauche ich aber eine heiße Dusche und irgendetwas Koffeinhaltiges.«
    »Wie du meinst.« Kathi erhob sich und zog ihr Kleid zurecht. »Ruf mich an, wenn du etwas erfährst. Egal um welche Tageszeit.«
    Ich brummte missmutig und brachte sie damit zum Lachen.
    »Danke«, sagte sie leise, als sie sich mit einem Bussi von mir verabschiedete.
    Als ich auf die Zwinglistrasse hinaustrat, war es hell geworden und es herrschte eine sonntägliche Stille im Quartier. In der Ferne schlug eine Kirchturmuhr. Ich dachte an Nils und fröstelte.

Sonntag
    Je länger der Winter andauerte, desto mehr schien das Grau die Stadt einzunehmen. Es begann beim Schnee, der nur für wenige Stunden pulvrig weiß die Hausdächer, Parkbänke und Balkongeländer bedeckte, bevor er rasch zu schlierigen Resten zusammenschrumpfte, die von Abgas und Schmutz verdreckt am Straßenrand klebten. Von dort kroch die Farbe weiter, die nassen Gehsteige entlang, die

Weitere Kostenlose Bücher