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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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musste, überprüfte ich rasch mein Profil auf der Datingseite nach neuen Nachrichten. Doch noch immer hatte sich kein Nutzer mit dem Namen Silberwolf für meine Bildchen interessiert, einzig ein junger Mann aus Ghana wünschte sich eine liebvolle, von gegenseitigem Respekt geprägte Beziehung mit mir, wie er in abenteuerlichem Französisch schrieb. Wie es klang, stand er mit gepacktem Koffer bereit, mich persönlich von sich zu überzeugen, ich brauchte nur noch das Geld für ein Flugticket zu schicken. Ich klickte die Nachricht unbeantwortet weg.
    Irgendwie kam ich nicht weiter in Saids Fall. Natürlich hätte ich erneut die Stricherbars in der Altstadt mit einem Foto abklappern können, aber ich glaubte nicht, dass dabei etwas Neues herausgekommen wäre. Ich hatte mir bisher schon ein ziemlich genaues Bild des jungen Marokkaners machen können. Und doch fehlte mir der entscheidende Ansatz, um die Umstände seines Todes aufzudecken. Der ganze Fall konzentrierte sich auf die letzten Stunden in Saids Leben. Fand ich nicht heraus, wer dieser Silberwolf war, würde ich wohl nie erfahren, was in jener Nacht geschehen war. Doch solange er nicht auf mein Profil ansprang, war ich zur Tatenlosigkeit verdammt. Und das machte mich zunehmend nervös.
    Die Ampel wechselte auf Grün und während ich über die steil abfallende Brücke zum Limmatplatz hinunterfuhr, entschloss ich mich, Kevin Steiners Eltern einen Besuch abzustatten. Noch lieber hätte ich Nils’ Familie aufgesucht, doch die war erst im Verlauf des Morgens mit seinem plötzlichen Tod konfrontiert worden und stand sicher noch unter Schock. Zudem wollte ich der Polizei nicht ins Gehege kommen.
    Aber die beiden Jungs hatten sich scheinbar gekannt und wie Kevin hatte auch Nils vorgehabt, seinem Leben eine entscheidende Wendung zu geben. Was auch immer das bedeuten mochte. Jetzt waren beide tot. Grund genug, der Sache nachzugehen, bis mir der Silberwolf ins Netz ging. Zudem hatte ich es Kathi versprochen.
    Der Wohnblock lag in der heruntergekommensten Ecke von Wiedikon. Da sich in der Nähe kein Parkplatz fand, ließ ich meinen Käfer auf dem Gehsteig stehen und stieg durch das schäbige Treppenhaus in den dritten Stock.
    Erst nach dem zweiten Klingeln waren im Innern der Wohnung zögernde Schritte zu hören. Dann verdunkelte sich der Türspion, doch es dauerte einen Atemzug länger als erwartet, bis das zögerliche Rasseln der vorgelegten Kette zu hören war. Als hätte sich derjenige auf der anderen Seite erst dazu durchringen müssen.
    Endlich wurde der Schlüssel gedreht und ein misstrauisches Augenpaar musterte mich durch den handbreiten Spalt zwischen Tür und Rahmen.
    »Es ist Sonntag!« Der vorwurfsvolle Ton in der Stimme der Frau war nicht zu überhören.
    Ich entschied mich für ein zerknirschtes Lächeln und stellte mich artig vor. In der Wohnung lief leise eine Sportübertragung im Fernsehen. Die Frau blickte mich abweisend an und hielt die Tür mit ihrer knochigen Hand fest, bereit, sie mir jederzeit vor der Nase zuzuschlagen. »Ja, und?«
    Gastfreundlichkeit klang anders.
    »Sie sind Frau Steiner, ja?«
    Die Frau nickte knapp und die Tür schwang einen halben Zentimeter nach innen, sodass jetzt ihr ganzes Gesicht zu sehen war. Ich deutete das als gutes Zeichen. Frau Steiner sah älter aus, als sie sein musste, ein bitterer Zug hatte sich um ihre Mundwinkel eingraviert. Ihr Haar war von einem stumpfen Dunkelbraun, sie trug es straff nach hinten zusammengebunden. Um ihren Hals hing ein Kreuz an einer schlichten Kette. Nicht protzig, aber groß genug, damit es auffiel.
    »Ich komme wegen Kevin.«
    Sie blinzelte kurz und ihre Miene wurde noch eine Spur ablehnender, wenn das überhaupt möglich war. Steif und unnahbar wirkte sie in ihrer zugeknöpften Strickjacke und dem dunkelgrauen Rock aus festem Stoff.
    »Kevin ist tot.«
    »Ich weiß, mein herzliches Beileid …«
    Wortlos starrten wir uns an. Ihre Hand wanderte zum Hals hoch und befingerte das Kreuz. Ich hatte den Eindruck, sie streckte es mir bannend entgegen. Als wäre ich der Antichrist. Wahrscheinlich betete sie, der Boden möge sich öffnen und mich verschlucken. Das tat er zwar nicht, doch die Kälte, die von der Frau ausging, ließ mich trotz der Winterjacke frösteln. Jesus musste ein Eskimo gewesen sein.
    Mit Erleichterung registrierte ich, dass in der Wohnung das Fernsehgerät verstummte.
    »Wer ist da?«, rief ein Mann aus dem Hintergrund, doch Frau Steiner gab keine Antwort. Trotzdem

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