Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
Vom Netzwerk:
gut vorstellen, dass er sich ausgegrenzt und nicht akzeptiert fühlte, eventuell wurde er sogar gemobbt. Deswegen wollte er austreten und vielleicht ist er auch deshalb mit einem Strick in den Estrich raufgegangen!«
    Steiner schnappte nach Luft, sein ohnehin schon gerötetes Gesicht verfärbte sich puterrot. »Da liegen Sie komplett falsch! Das Gegenteil war der Fall! Er lebte völlig auf, nachdem er ausgetreten war!«
    »Er hat sich Ihnen anvertraut?«
    »Ich habe es schon früh geahnt, doch seine Mutter … meine Frau wollte es nicht wahrhaben. Für sie hielt die Kirche Lösungen für alles bereit, andere Ansichten zählten für sie nicht.«
    »Wie ist sie mit der Tatsache umgegangen, dass ihr Sohn die Kirche verlassen hat, weil er homosexuell war?«
    Steiner starrte in sein Glas, als suchte er die Antwort in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. »Zu Beginn gab es viel Geschrei und Tränen, doch dann wurde das Thema nicht mehr erwähnt«, berichtete er stockend.
    »Sie meinen totgeschwiegen. Aber Kevin wohnte trotzdem weiter bei Ihnen?«
    »Er war in Ausbildung. Hätte er genügend Geld gehabt, er wäre sofort in eine eigene Wohnung gezogen.«
    »Sie wollten ihn nicht unterstützen?«
    »Meine Frau verwaltet das Geld. Der Großteil wird gespendet.«
    »Für gute Zwecke, wie man sieht.«
    Regungslos blickte mich Steiner an, seine Mundwinkel zuckten verdächtig. Gerade als ich einen weiteren Gefühlsausbruch befürchtete, nahm er einen Schluck Kognak und lehnte sich etwas vor. »Aber wie gesagt: Trotz der Wohnsituation lebte Kevin richtiggehend auf, nachdem er ausgetreten war. Mit einem Mal ging er aus, das ist in der Kirche absolut verpönt …«
    »Wohin ging er?«
    »In irgendeinen Jugendtreff am Sihlquai.«
    »Was für einen Jugendtreff?«
    »Na ja, einen … sch… für hom…« Steiner druckste herum.
    »Einen schwulen Jugendtreff?«
    Kevins Vater nickte erleichtert. Das böse Wort schien ihm immer noch nicht leicht über die Lippen zu gehen. In unserem Gespräch hatte er es bislang erfolgreich vermieden.
    »Er ging also aus. Lebte auf. Und trotzdem brachte er sich um. Für mich passt das nicht zusammen. Er hatte doch Pläne. Sie haben erwähnt, dass er nach Amerika wollte …«
    »Ja, nach dem Studium. Das hat er mir erzählt.«
    »Ihre Frau behauptet aber das Gegenteil.«
    »Davon habe ich überhaupt nichts gewusst, das müssen Sie mir glauben.«
    »Weshalb war das so? Sie sind doch sein Vater!«
    Steiner seufzte. »Die Arbeit für die Kirche hat mich derart absorbiert, dass ich oft nicht mitbekommen habe, was zu Hause lief. Das hat einen regelrechten Keil zwischen mich und meine Familie getrieben. Kevin und ich haben aneinander vorbeigelebt, obwohl wir im selben Haushalt wohnten. Mir ist nur aufgefallen, dass er nach dem Austritt aufblühte. Als ich ihn darauf ansprach, erzählte er mir von dem Jugendtreff. Doch in den Wochen vor seinem Tod wurde er wieder stiller. Ging nicht mehr aus und zog sich vermehrt zurück. Wollte ich mit ihm sprechen, wich er mir aus. Ich habe dem keine große Bedeutung beigemessen, er war schon immer ein verschlossener Junge gewesen. Wenn ich bloß die Anzeichen richtig gedeutet hätte …« Er glotze mit wässrigen Augen in sein Glas, bevor er es erneut ansetzte.
    Dieser Vorwurf klang vertraut. Mir erging es mit meinem Vater nicht anders.
    »Hatte er einen Freund?«, fragte ich schnell, denn ich wusste aus Erfahrung, welchen weinerlichen Verlauf die Gespräche von zwei Männern nehmen konnten, wenn eine Flasche Schnaps mit Schuldgefühlen kollidierte.
    »Es gab da jemanden.« Er nannte mir einen Namen.
    Ich bedankte mich und stand auf. »Eine letzte Frage noch: Ihre Vornamen …«
    »Meine Frau und ich haben sie angenommen, als wir in die Kirche eingetreten sind.«
    »Kevin stand dabei wohl kaum auf der Liste mit den ausdruckstärksten biblischen Namen.«
    »Wir waren bei seiner Geburt noch keine Mitglieder der Kirche. Später wollten wir ihn Jesaja taufen, doch er weigerte sich, den Namen anzunehmen. Alles Zureden war vergebens, die Drohungen ebenfalls. Da hat er sich zum ersten Mal gegen uns und die Kirche durchgesetzt. Er konnte so starrköpfig sein.« Steiner lächelte tapfer, während sich seine Augen mit Tränen füllten.
    Wie viele Menschen, die sich irgendwann vorgenommen hatten, mehr Sport zu treiben, und die dann jedes Mal, wenn es konkret wurde, doch dem Feierabendbier den Vorrang gaben und das sündhaft teure und extra angeschaffte Paar Turnschuhe verstohlen zurück in

Weitere Kostenlose Bücher