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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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der Schweiz anzubieten. Das war die Geburtsstunde von Sanduhr . Ich war damals restlos überzeugt von dem Konzept«, fügte Beat etwas kleinlaut hinzu.
    »Bis zu Ihrem Rückfall.«
    »Die Zweifel tauchten schon vorher auf. Gerade wegen der Rückfälle. Der amerikanische Mitbegründer einer dieser Organisationen etwa wurde in Washington in einer Schwulenbar erwischt, in der er angeblich nur hatte pinkeln wollen.«
    »Pinkeln?«
    »Ja.«
    Eine kleine Pause entstand.
    »Nun, wenn das alles gewesen ist …«, setzte Beat an, doch ich unterbrach ihn schnell mit der Frage, die sich mir aufdrängte: »Wie lebt es sich denn als ehemaliger Hetero, der vorher und nachher schwul war …?«
    »In Amerika nennt man uns Ex-Ex-Gays.«
    »Sind Sie glücklich?«
    Er lachte freudlos. »Nun, ich setze alles daran, ein erfülltes Leben zu führen – gegen jegliche Widerstände. Der Weg dorthin ist steil und leider fällt das Glück nicht allen in den Schoß. Gerade mit meiner Geschichte muss ich immer wieder dafür kämpfen. Manchmal gelingt mir das, manchmal überhaupt nicht.«
    Das klang wenig entspannt, sondern vielmehr nach einer fortwährenden Auseinandersetzung. So leicht ließ man wohl eine derartige Gehirnwäsche nicht hinter sich. Nachdenklich blickte ich auf das verschneite Quartier. »Denken Sie, dass sich Kevin wegen dem Druck, den Sanduhr auf ihn ausübte, umgebracht hat?«
    »Das ist durchaus möglich. Wobei Sie bedenken sollten, dass die Suizidrate für Schwule und Lesben etwa um dreißig Prozent höher liegt als bei Heterosexuellen. Außerdem sind Selbstmorde gerade unter homosexuellen Jugendlichen weit verbreitet. In den USA gibt es immer wieder regelrechte Serien. Ich würde die Spur zu Sanduhr jedoch auf alle Fälle weiterverfolgen. Aber geben sie acht: Mit dem Verein ist nicht zu spaßen.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Journalisten, die negativ über die Organisation berichteten, wurden regelmäßig mit Mails und anonymen Anrufen bedroht.«
    Ich wollte mir lieber nicht ausmalen, was Bob mit Detektiven anstellte, die ihre Nase zu tief in seine Praxis steckten. Auch die erhöhte Suizidrate beunruhigte mich. Man gab sich ja hierzulande gern tolerant und offen, und in gewissen Bevölkerungsschichten galt es geradezu als schick, mindestens einen Schwulen im Freundeskreis zu haben. Als wären Homosexuelle kostspielige japanische Zierfische. Und doch verzweifelten zahlreiche Menschen ob ihrer sexuellen Neigungen und brachten sich aufgrund der gesellschaftlichen Repressionen um. Von vorbehaltloser Akzeptanz konnte offenbar selbst im Jahr 2012 keine Rede sein. Und das betraf nur einen kleinen aufgeschlossenen Teil der westlichen Welt. Die Länder, in denen man für seine sexuelle Orientierung immer noch gesteinigt, ermordet, gefoltert oder eingesperrt und grundsätzlich als Mensch zweiter Klasse betrachtet wurde, blieben in erschreckender Überzahl.
    Nachdem ich den Anruf beendet hatte, sah ich auf dem Display, dass Miranda erneut versucht hatte, mich zu erreichen. Sie musste warten.
    Meine Gedanken kehrten zu den beiden Burschen zurück.
    Natürlich würde Bob niemals zugegeben, dass sich Kevin aufgrund seiner Therapie umgebracht hatte. Bei Nils lag der Fall etwas anders, er hatte noch keines der garantiert einfühlsamen Gespräche über sich ergehen lassen, als er vom Viadukt gesprungen war. Sein Tod musste also einen anderen Hintergrund haben, wenn ich nicht von einem Unfall ausgehen wollte.
    Oskar nahm meinen Anruf bereits nach einem Klingeln entgegen. Ich brachte mein Anliegen vor, doch seine Antwort war wie erwartet negativ: Er könne sich nicht vorstellen, dass Said sich bei einer solchen Organisation hatte behandeln lassen, dazu hätte er sich in seiner Haut viel zu wohlgefühlt. Natürlich sei er bei der marokkanischen Diaspora aufgrund seiner sexuellen Orientierung und seines Jobs nicht akzeptiert gewesen, aber Said hätte das nicht weiter gekümmert.
    Verdutzt betrachtete ich die gelbe Kiste, die vor meiner Wohnungstür stand und deren Aufschrift verriet, dass sie zwölf sonnengereifte Mangos aus Pakistan enthielt. Ich war es gewohnt, dass die Leute jede Menge merkwürdiger Sachen bei mir abluden, deswegen hob ich den Deckel äußerst vorsichtig an.
    Doch tatsächlich: der schwere Geruch reifer Mangos strömte mir entgegen, süßlich und leicht faulig zugleich, wie es sein musste. Ein ganzes Dutzend davon wartete einzeln verpackt darauf, von mir verzehrt zu werden. Merkwürdig fand ich einzig, dass zurzeit

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