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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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Jahre meines Lebens habe ich dieser Organisation geopfert, nur um am Ende verstoßen zu werden.«
    »Ich habe gedacht, Sie seien ausgestiegen? In der Zeitung stand das so.«
    »Man hat mich rausgeschmissen, so war’s.«
    »Weshalb?«
    »Ein Rückfall, was sonst.«
    Das klang schon wieder nach Krankheit. Oder nach schwerer Drogenabhängigkeit.
    »Also funktioniert es nicht?«
    Beat ließ sich Zeit mit der Antwort. »So generell kann man das nicht sagen«, erklärte er schließlich. »Es gibt sicher Menschen, denen der Glaube an Gott und eine eiserne Disziplin helfen, ihre Sexualität zu unterdrücken. Manche heiraten sogar und haben Kinder. Die Auswirkungen auf ihre geistige Gesundheit sind jedoch schwer einzuschätzen und reichen teilweise von Neurosen über schwere Psychosen bis hin zum Suizid.«
    »Woran liegt das?« Zu meinem Glück gab sich Beat trotz seiner anfänglichen Reserviertheit ziemlich gesprächig.
    »Am falschen Ansatz. Zum Beispiel wird den Kursteilnehmern erst einmal eingeredet, sie seien gar nicht schwul, sondern Opfer einer sexuellen Verwirrung, die auf irgendwelche ungelösten Konflikte zurückginge, Missbrauch womöglich. Selbst wenn das nicht zutrifft. Diese teilweise frei erfundenen Konflikte werden dann mit sogenannten Therapeuten aufgearbeitet. Diese werden nach gerade mal fünf Tagen Ausbildung auf die Klienten losgelassen. Sie sind meist selbst Betroffene.«
    Das also hatte Bob vorhin mit ›gut ausgebildet‹ gemeint. Im Beschönigen kruder Tatsachen war der Mann große Klasse.
    »Dabei setzen sie die Hilfesuchenden, die ohnehin schon unter Ausgrenzung und Diskriminierung leiden, wegen mangelnder religiöser Hingabe und mit möglichen gesellschaftlichen Konsequenzen zusätzlich unter Druck«, ergänzte Beat, der eine sonore, wohlklingende Stimme hatte. Aus irgendeinem Grund musste ich dabei an den Gitarrenspieler auf dem Werbeplakat von Sanduhr denken.
    »Mit dem traurigen Effekt, dass die jungen Männer Selbstmord begehen.«
    »Das ist die schlimmstmögliche Auswirkung, richtig«, bestätigte er. »Depressionen und Verzweiflung sind in der Regel normale Begleiterscheinungen, in manchen Fällen führt das leider zum Suizid. Davor warnt auch die Wissenschaft, die heutzutage beinahe einstimmig die Meinung vertritt, sexuelle Orientierung könne nicht geändert werden. Doch das kümmert die Organisation wenig. Hauptsache der Profit stimmt.«
    »Aber es gibt Menschen, die trotzdem fest an den Erfolg dieser Behandlung glauben.«
    Beat seufzte leise. »Wenn man verzweifelt genug ist, dann klammert man sich an jeden Strohhalm.«
    »Was hat Sie persönlich angetrieben, da mitzumachen?«
    »Ich wollte so sein wie alle andern«, erklärte Beat bedächtig, als wäge er jedes Wort ab. »Normal, im landläufigen Sinn. Ein Leben im Einklang mit der Bibel und der Gesellschaft führen. Ich war eine Zeit lang sogar in Amerika, da wird das alles noch viel fundamentalistischer angegangen. Man lebt nicht nur nach Gottes strengem Wort, sondern wird in den Therapiezentren rund um die Uhr betreut …«
    »Was wohl nichts anderes heißt, als dass man unter andauernder Beobachtung steht«, warf ich ein.
    »Genau. Man lebt mit gleichgesinnten Männern unter einem Dach, es wird viel diskutiert und noch mehr gebetet. Man kontrolliert sich gegenseitig. Das Bad darf zum Beispiel nur kurz benutzt werden, damit keiner Zeit hat … nun, Hand anzulegen.« Er gluckste verlegen. »Zudem erlernt man typisch männliche Tätigkeiten wie Fußballspielen und Motoren reparieren. Die Kursleiter halten einen an, breitbeinig zu gehen und mit tiefer Stimme zu sprechen, besonders effeminierte Gesten werden einem ausgetrieben und mit häufigen Umarmungen soll ein unbefangener Umgang mit Männern geübt werden.«
    Mit Schaudern erinnerte ich mich an Bobs Bedürfnis nach Körperkontakt. »Und dann wird einem beigebracht, nach Feierabend als Erstes den Fernseher einzuschalten, die Füße auf den Tisch zu legen und nach einem Bier zu brüllen?«, überlegte ich laut, was das Klischee des heterosexuellen Mannes ausmachte.
    Ohne auf meine Bemerkungen einzugehen, fuhr Beat mit seinen Ausführungen fort: »Ein Grundpfeiler dieser Lehre ist, dass man lernt, rein freundschaftliche Beziehungen zu Männern aufzubauen. Gleichzeitig schärft man die Sinne für weibliche Reize.«
    Ich schluckte die spitze Bemerkung, die mir auf der Zunge lag, sofort wieder hinunter.
    »Dort lernte ich auch Bob kennen. Gemeinsam beschlossen wir, diese Therapie auch in

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