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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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halbe Stunde, nachdem ich angerufen und in der sich die halbe Sippe um den Hörer gedrängt hatte, um mir kurz Hallo zu sagen.
    » Betaji! Schön, dich zu hören!«, flötete meine Mutter engelsgleich, sodass ich auf der Stelle wusste, dass sie wusste, dass ich es wusste.
    »Was hast du getan?«
    »Iiiiiiich?« So betont unschuldig hatte wahrscheinlich nicht einmal Maria Stuart bei ihrer Gefangennahme wegen Hochverrats geklungen.
    »Du weißt haargenau, wovon ich rede.«
    »Nein, wie sollte ich auch? Ich war ja so mit der Abreise beschäftigt, dass ich gar keine Zeit …« Ertappt brach sie den Satz ab.
    »Dass du gar keine Zeit hattest, eine Hochzeitsanzeige in die Zeitung zu setzen?« Grimmig tippte ich auf die aufgeschlagene Seite der Samstagsausgabe, auf deren unterem Teil ich das Inserat entdeckt hatte. Wo ich dieses finden würde, hatten mir die beiden verängstigt quietschenden Inderinnen verraten, bevor ich sie grimmig aus der Wohnung bugsiert hatte.
    »Ach, das …«
    »Wohlsituierter Mittdreißiger aus guter indischer Familie«, las ich ihr vor, obwohl sie den Text zweifelsohne auswendig kannte. »Streng religiös, mit solider Ausbildung und einträglichem Beruf. Spricht neben Hindi fließend Deutsch, Englisch und Französisch. Sucht indische Ehefrau zwischen 18 und 25, Aussehen und Kaste egal.« Ich schnappte nach Luft. »Aussehen und Kaste egal? Streng religiös und der ganze Rest? Ma, was hast du dir dabei bloß gedacht?«
    »Na ja«, druckste sie herum. »Du bist allmählich das, was man in Indien Baasi Maal nennt, nicht mehr taufrische Ware. Da mussten wir deine Angaben etwas aufpeppen. Ich wollte es dir am Flughafen noch sagen, aber da …«
    »Wir?«
    »Manju hat mir mit den Formulierungen geholfen. Es hat ihr offensichtlich großen Spaß gemacht. Sie sagte, das sei eine Retourkutsche für etwas, was du ihr angetan hättest.«
    Nur ungern erinnerte ich mich an die peinliche und kein bisschen zweideutige Situation, in der sie mich im vergangenen Jahr erwischt hatte. Ich konnte mir geradezu bildlich vorstellen, wie viel Vergnügen ihr das Entwerfen des Inserats bereitet hatte. Das Mädchen hatte es faustdick hinter den Ohren.
    »Und was ist mit mir? Hast du eine Sekunde lang daran gedacht, was ich will? Abgesehen davon, dass mehr als die Hälfte des Textes erstunken und erlogen ist.«
    Meine Mutter sagte ein paar abgrundtiefe Seufzer lang nichts, doch ich konnte mir ihren Gesichtsausdruck dabei nur zu gut vorstellen: unbeschreibliches Seelenleid kombiniert mit diesem vorwurfsvollen Blick, der in jedem mit einer indischen Mutter beglückten Sohn schwerste Schuldgefühle weckte, selbst wenn er seit Dekaden nichts Falsches getan oder gesagt hatte.
    Mir ging es nicht anders. Innert Sekunden hatte sie den Spieß gewendet, wie eigentlich immer, und ich war drauf und dran, mich zu entschuldigen, ohne eigentlich zu wissen wofür. Ich fragte mich einmal mehr, wie indische Mütter das bloß schafften.
    »Die Zeit wartet auf keinen«, erklärte sie jetzt und ich sah ihren Mahnfinger förmlich vor mir. »Wenn du eine Familie willst, ist es höchste Eisenbahn, dir die passende Frau dazu zu suchen.«
    »Aber ich will doch gar nicht …«
    »Und da du selbst nicht in der Lage zu sein scheinst, hat sich deine arme alte Mutter geopfert und diese schwierige Aufgabe für dich übernommen. Arrangierte Ehen halten länger und sind oft die glücklichsten, das ist erwiesen.«
    »Ich will aber nicht!«
    Sie schnalzte mit der Zunge. » Aré, Beta! Dann wirst du die ganzen heiratswilligen Frauen halt nach Hause schicken müssen. Aber sieh sie dir wenigstens genau an, bevor du das tust.«
    »Nach Hause schicken? Aber …« Mein Blick wanderte ans Ende der Anzeige. Dort stand – was ich bis anhin übersehen hatte – nebst der genauen Geburtszeit auch meine Adresse. Keine Chiffre, nein: meine Adresse. Das erklärte die Kiste mit den Mangos. Eine verführerische Ankündigung für etwas anderes, das noch kommen würde. Deswegen hatte auch der Anrufer vorhin seine Töchter direkt zu mir geschickt.
    Ich wollte mir lieber nicht ausmalen, wie viele Inderinnen im heiratsfähigen Alter in Zürich und Umgebung auf Männersuche waren. Schlagartig fiel mir Marwans Prophezeiung ein und mir wurde einiges klar. Ab sofort würde ich erst einmal durch den Türspion schauen, bevor ich irgendjemandem öffnete.
    » Hai rabba! Hätte ich gewusst, wie wenig Interesse du zeigst, hätte ich das viele Geld nicht ausgegeben«, hörte ich die Stimme

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