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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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überhaupt nicht Mangosaison war. Doch wenn sie es in Pakistan geschafft hatten, Osama Bin Laden jahrelang vor den Amis zu verstecken, dann bedeuteten reife Mangos im Winter vergleichsweise geringen Aufwand.
    Auf der Suche nach einer Karte oder einem Begleitschreiben hob ich den Deckel ganz ab, doch ich fand keinen Hinweis auf den Absender.
    Mit gerunzelter Stirn nahm ich die Kiste mit in die Wohnung. Kaum hatte ich mich meiner Jacke entledigt und ein Glas drei Fingerbreit mit Amrut gefüllt, klingelte es.
    Vor der Tür standen zwei junge Inderinnen. Sie waren körperlich beide auf der üppigeren Seite und trugen brandneu aussehende Seidensaris mit zahlreich eingewobenen Goldfäden. Über den Scheitel hatten sie sich das lange Sariende gelegt. Die Augen waren kajalumrandet und an Handgelenk und Ohren baumelte Schmuck im geschätzten Wert einer Sommervilla in Goa. Mit Meeranschluss und eigenem Pool.
    Ich wartete ab, bis der Lachanfall, gegen den die beiden Frauen augenscheinlich anzukämpfen hatten, halbwegs abgeklungen war, bevor ich mich nach ihrem Anliegen erkundigte. Noch ehe ich den Satz beenden konnte, blähten sie ihre Wangen erneut, erröteten und schlugen sich synchron die Hände vor den Mund. Dann kicherten beide unkontrolliert los, wobei sie sich immer wieder anstießen, wohl in der Meinung, mir würde das nicht auffallen. Waren sie Kundinnen, würde das sicher ein heiterer Fall werden. Zur Abwechslung hätte ich gar nichts dagegen gehabt.
    Gerade hatte ich die beiden kichernden Wonnekugeln gebeten, auf meinem Sofa Platz zu nehmen, als das Telefon in meiner Hose zu vibrieren begann.
    »Sind sie gut angekommen?«, erkundigte sich eine atemlos klingende Männerstimme mit starkem indischem Akzent.
    Mein Blick wanderte zu der Kiste mit den Mangos, die ich auf dem Schreibtisch deponiert hatte. »Gerade eben.«
    »Und?«
    »Sind sie von Ihnen?«
    »Natürlich, Sir. Was für eine sonderbare Frage!«
    »Herzlichen Dank! Sie sehen fabelhaft aus.«
    Der Anrufer, unzweifelhaft ein älterer Mann, atmete erleichtert auf. »Oh, Sir, ich habe zum Gott Kama gebetet, dass sie Ihnen zu Gefallen sind.«
    Etwas irritiert ob seiner Wortwahl und der Lautstärke, mit der er diese in die Muschel brüllte, bestätigte ich dies. Wahrscheinlich war ihm der moderne Mobilfunk mit seinen unsichtbaren Verbindungen suspekt und er versuchte, der Distanz mit erhobener Stimme beizukommen.
    »Sie riechen wunderbar!«, beruhigte ich ihn.
    »Ich habe sie extra hübsch zurechtgemacht.«
    »Einzeln verpackt, ich hab’s gesehen.«
    »Äh, selbstverständlich …«
    Ich öffnete die Schachtel mit der freien Hand und besah mir die Mangos. »Sie sind wunderbar, so prall und reif. Zum Anbeißen.«
    Der Mann kicherte verlegen. »Ja, ja, die Zeit ist überreif, dachte ich …«
    »Überreif«, gab ich ihm recht und betastete eine der Früchte, wobei sich das Krepppapier löste, mit dem sie eingepackt war. »So habe ich sie am liebsten. Und die Verpackung ist stilvoll, aber simpel und klebt nicht wie sonst. Ich habe es eben geschafft, sie einhändig runterzureißen.«
    »Sir?« Seine Stimme schraubte sich alarmiert in die Höhe. »Sie haben schon eine ausgesucht?«
    »Eine? Ich nehme alle! Wenn sie so überreif sind, ist Eile angesagt. Die Haut ist dann zwar schon etwas ledrig. Drin schmecken sie aber süß und saftig.«
    »Oh, Sir, wenn sie das so sehen … ich weiß nicht …«
    »Doch, doch, es gilt, schnell zuzulangen, bevor sie diesen fauligen Geruch entwickeln, Sie kennen das sicher.«
    »Ehrlich gesagt …« Der Anrufer schnappte nach Luft.
    Ich senkte meine Stimme zu einem verschwörerischen Flüstern, damit die beiden Inderinnen mich nicht hören konnten: »Man vernascht sie, solange die Konsistenz zart und fleischig ist. Vertrocknetes Dörrobst ist nichts für mich. Am liebsten würde ich jetzt gleich damit beginnen, nur harren hier noch zwei Kundinnen auf meine Dienste. Aber wenn ich mit denen fertig bin, kommen sie dran!«
    »Oh, oh, Sir, schicken Sie sie auf der Stelle zurück!«, winselte der Mann.
    Sein Verhalten befremdete mich zunehmend.
    »Aber wieso denn?« Ich war noch immer mit der Mango beschäftigt. »Boah, lecker! Wenn ich sie etwas zu fest drücke, beginnen sie zu saften!«
    »Sie perverses Schwein!«, brüllte der Anrufer und legte auf.
    Perplex fixierte ich mein Telefon.
    »War das unser Vater?«, erkundigte sich eine der beiden Damen mit weit aufgerissenen Augen.
    »Mutter!« Endlich hatte ich sie am Apparat. Eine gefühlte

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