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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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Genüge getan. Es schien, als nähme dieser Winter kein Ende.
    Mein Telefon klingelte und Mirandas Name blinkte auf der Anzeige, doch ich war nicht in der Stimmung, mit ihr zu reden. Zum ersten Mal, seit ich diesen Fall bearbeitete, hatte ich keine Ahnung, was mein nächster Schritt sein würde, in welche Richtung ich weiterforschen wollte. Es war zum Verzweifeln.
    Missmutig setzte ich mich wieder an den Schreibtisch und guckte ratlos auf den Bildschirmschoner meines Laptops. Nach einiger Zeit ging mir die Stille auf die Nerven und ich startete das Musikprogramm. Da ich seit geraumer Zeit meine gesamte CD-Sammlung auf der Festplatte gespeichert hatte, bedurfte es nur zweier Mausklicks, um meine Lieblingsband aus dem Stand-by-Modus zu wecken. Don’t cry , krächzte Axl Rose kurz darauf aus den Lautsprechern, eine wunderbar tröstliche Ballade, die ihre Wirkung auf mich nicht verfehlte. Einmal mehr bedauerte ich, dass Guns N’ Roses sich bereits Mitte der Neunziger aufgelöst hatten, das lauwarme Revival um den Leadsänger vor einigen Jahren war für einen eingefleischten Fan wie mich kein Ersatz für die Originalbesetzung gewesen. Im Gedenken an die beste Rockgruppe aller Zeiten erfreute ich mich ein paar Takte lang an der virtuos sägenden E-Gitarre von Slash, bevor ich den Browser startete und wenig motiviert nach Artikeln über Tollkirschen stöberte. Es konnte nicht schaden, wenn ich mich etwas schlau machte. Zudem musste ich etwas tun, um nicht vollends in Agonie zu verfallen.
    Schnell stieß ich auf eine umfangreiche Abhandlung und je mehr ich mich in die Lektüre vertiefte, desto faszinierter war ich von dieser Pflanze, deren Wirkung seit der Antike bekannt war. Sie enthielt diverse toxische Substanzen, die sowohl in der Wurzel als auch in Blättern, Blüten und Früchten nachweisbar waren. Ein tödliches Giftschränkchen in Bioqualität. Nebst den mystischen Verwendungszwecken wie eben dieser Hexensalbe, die auf dem halluzinogenen Effekt der Toxine fußten, wurde der Wirkstoff Atropin noch heute in der Medizin verwendet und unter anderem bei Koliken des Magen-Darm-Traktes und der Gallenwege sowie in der Augenheilkunde eingesetzt. Früher wurde der Saft der Beere von Frauen zur Erweiterung der Pupillen verwendet, was als attraktiv galt und Männer anlocken sollte. Daher auch der lateinische Name Belladonna : schöne Frau. Der Aufguss galt als Aphrodisiakum und wurde in manchen Ländern angeblich noch heute zur Luststeigerung getrunken.
    Ich stutzte und las den letzten Abschnitt erneut. Hatte nicht der Gemüsehändler Bastiani erzählt, er verkaufe erotisierende Tees, die gerade bei den Damen ausgezeichnet ankämen? Plötzlich war ich wieder voll bei der Sache.
    Über die Internetsuchmaschine gelangte ich mit wenigen Klicks auf seine Homepage. Ein Glück, dass heutzutage jeder hinterletzte Straßenhändler über eine Website verfügte. Das erleichterte die Recherche enorm, gerade bei garstigem Winterwetter wie heute.
    Zur Motivation goss ich mir ein Glas Whisky ein, während Guns N’ Roses mit akustischen Gitarren spartanisch instrumentiert Patience besang. Ich spielte schon die ganze Zeit mit dem Gedanken, mir später eine Pizza zu ordern und ein heißes Bad zu gönnen. Doch als ich in der Kategorie ›Produkte‹ die Zusammensetzung des besagten Tees durchlas, wusste ich sofort, dass daraus nichts werden würde. Belladonna , stand da, nebst einem guten Dutzend anderer pflanzlicher Ingredienzen, die für mich jedoch eine untergeordnete Rolle spielten.
    Bastiani mischte also Tollkirschen in seine Tees. Mir gegenüber hatte er sich jedoch ahnungslos gegeben, als ich ihn auf die Beeren angesprochen hatte. Grund genug, ihm einen weiteren Besuch abzustatten.
    Erfüllt von neuem Tatendrang erhob ich mich, als mich das helle Bimmeln eines Glöckchens innehalten ließ. Das Signal meines Laptops, das einen weiteren Kontaktversuch einer dieser gesichtslosen Adonisse meldete. Ich war versucht, in die Jacke zu schlüpfen und hinauszugehen, doch dann war die Neugier stärker. Ich ließ mich auf den Stuhlrand nieder und klickte auf die eben eingetroffene Nachricht. Ein blaues Dialogkästchen erschien am oberen linken Bildschirmrand.
    Ich sog die Luft ein und las die Mitteilung mehrmals. Nachdem ich geantwortet und postwendend eine Replik erhalten hatte, schenkte ich mir einen weiteren Drink ein, bevor ich eine abschließende Botschaft losschickte. Sie bestand aus einem einzigen Wort: Okay .
    Meine Hand zitterte vor

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