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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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Anspannung, als ich den Computer ausschaltete, und die miserable Laune war schlagartig verflogen. Ich hatte mich soeben zu meinem allerersten Internetdate verabredet. Da musste Bastiani hintanstehen.
    Der kleine Park lag zwischen St. Jakobskirche und Volkshaus, nur wenige Gehminuten von meiner Wohnung entfernt. Ich folgte der Umzäunung, bis ich zu einer schmalen Lücke gelangte, die es ermöglichte, die Anlage zu betreten. Von der angrenzenden Straße drang zwar das Rauschen der vorbeifahrenden Autos herüber, doch als ich stehen blieb, um mir einen Überblick zu verschaffen, fiel mir auf, wie still es im Park selbst war. Und wie düster. Ein mulmiges Gefühl beschlich mich. Wäre nicht der schwache Schein der Straßenlaternen durch die kahlen Äste der umliegenden Bäume gedrungen, ich hätte gar nichts erkennen können. So waren immerhin die beiden Schaukeln auszumachen, die sich zusammen mit einer Rutschbahn am anderen Ende des Parks unter dem Schnee abzeichneten. Sitzbänke säumten die eine Längsseite, gegenüber grenzten akkurat gestutzte Büsche die Anlage gegen die Stauffacherstrasse hin ab. Behelfsmäßig befreite ich eine Bank vom Schnee, um mich hinzusetzen.
    Hier also hatte sich der mutmaßliche Mörder mit Said verabredet, hierher hatte er nun auch mich bestellt. Zentral gelegen und doch verschwiegen, der Ort war perfekt, um sich diskret zu treffen, bevor man nach Hause ging oder ins Stundenhotel.
    Natürlich war ich viel zu früh da, nicht nur, weil dies meine erste virtuell vereinbarte Verabredung war und ich vor lauter Aufregung Herzklopfen und feuchte Hände hatte. Vielmehr wollte ich den Mann auf gar keinen Fall verpassen, jetzt, da ich so nah an ihm dran war wie nie zuvor.
    Selbstverständlich hatte mir mein Verehrer kein Foto von sich geschickt, obwohl ich ihn darum gebeten hatte, und mich stattdessen davon zu überzeugen versucht, dass ich es sicher nicht bereuen würde, er wäre unglaublich attraktiv und so weiter. Blablabla. Trotzdem war ich sofort auf sein Angebot eingegangen, ihn noch am selben Abend zu treffen. Nicht zuletzt weil mir sein Benutzername schlagartig klargemacht hatte, weshalb ich ihn nicht hatte finden können. Dazu hatte ein einziger Buchstabe gereicht. Doch jetzt war er mir endlich ins Netz gegangen! Die Idee von Luiz, meine jahrealten Bilder als Lockmittel zu benutzen, hatte funktioniert, und ich stand kurz davor herauszufinden, wer hinter dem Pseudonym Silverwolf steckte, das der Geheimnisvolle neuerdings benutzte.
    Das zweimalige Schlagen der Kirchenuhr machte mir deutlich, dass ich noch eine halbe Stunde zu warten hatte. Wollte ich bis dahin nicht erfrieren, musste ich mich nicht nur zwingend bewegen, sondern auch etwas Heißes trinken. Ich klopfte den Schnee von meiner Hose und machte mich zum nur wenige Schritte entfernten Stauffacher auf, einem unattraktiven Verkehrsknotenpunkt für Straßenbahnen. Dort fand sich auch eine Filiale dieser amerikanischen Kaffeekette. Die Marke verbreitete sich landesweit gerade mit einem derart beängstigenden Tempo, dass McDonald’s im Vergleich den Eindruck eines behäbigen Familiengasthofs machte. Auch wenn die angebotenen Getränke wie üppige Desserts daherkamen, nur noch entfernt mit Kaffee im herkömmlichen Sinn zu tun hatten und man für den Preis von einem Becher lauwarm-klebriger Plörre vier Hamburger hätte kaufen können – heute war ich froh über einen warmen Pappbecher zwischen meinen Händen.
    Während ich auf meine Bestellung wartete, blickte ich durch die Fensterfront des Lokals auf die Tramstation hinaus, wo gerade Feierabendbetrieb herrschte. Hektik machte sich breit, es wurde gehastet und gerempelt, mindestens jeder zweite presste sich ein Telefon ans Ohr, um entgegenkommenden Passanten seinen gegenwärtigen und den als nächstes angestrebten Aufenthaltsort entgegenzuplärren – ohne Rücksicht darauf, ob die anderen das interessierte oder nicht. Es gab selbstverständlich auch die Legeren, Saloppen, vom Gedränge Unbeirrten, die mit einem unbeschwerten Lächeln und schlafwandlerischer Sicherheit durch die Menge steuerten. Doch zwischendurch huschte immer wieder eines dieser beleidigten Gesichtchen an der Scheibe vorbei, Menschen, die eine undefinierbare Wut im Bauch zu haben schienen und von denen es in dieser Stadt stetig mehr gab. Weshalb war rein theoretisch nicht zu erklären, denn die Schweiz war nach wie vor eines der reichsten Länder der Welt. Zürich wurde bezüglich der Lebensqualität nur von Wien

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