Uhrwerk Venedig (German Edition)
scholl’n unsch nisch in die Arbeit der Vigile einmischn tun. Blosch beobach’n scholln wir.«
»Si.« Das Plätschern ging in ein lang anhaltendes Tröpfeln über.
»Un’ beobachded ham wir. Ham genau geseh’n, wie die arme Schau umgefall’n isch ... Aber drotzem, isch weisch nisch. Vielleich’ hätt’sch den Bolss’n nich’ mitneh’m scholln.«
»Si. Possibile.«, bestätigte Mordechai und verschnürte seine Hose. »Dasch gibbd ... gibd mäschtig Ärger, wenn dasch einer erfährt. Nisch wahr ... Dicker?« Er schielte an der Statue hinauf und hielt den Finger an die Lippen. »Aber Pschscht!«
Die Statue sah mit ausdrucksloser Miene auf die beiden an sie gelehnten Gestalten hinab.
»Si, Signore Mordechai«, rumpelte sie langsam. »Ich kann Schweigen wie ein Grab.«
»Dasch kann unscher Freund mit’dm Bolss’n im Nack’n auch«, erwiderte Don, die Stirn immer noch gegen den Bauch der Statue gelehnt. Er kicherte und begann leise zu schnarchen. Noch während er zu Boden sank, wurde er von einer gewaltigen Hand bemerkenswert sanft aufgefangen und in die Höhe gehoben.
Mordechai richtete den Blick seiner verquollenen Augen nach oben. Und noch weiter nach oben, bis er das bärtige Gesicht der Statue fand. »Coloscho? Bischd du dasch?«
»Si, Signore Mordechai.«
»Upsch«, sagte Mordechai und wurde ebenfalls hochgehoben.
Scheinbar unbelastet von den beiden Gestalten in seinen Armen trat der Riese aus dem Schatten in das erste fahle Morgenlicht hinein und marschierte in Richtung Canale Grande.
***
Capitano Bartholomew Hawthorne besaß ein für venezianische Verhältnisse erstaunlich schlicht eingerichtetes Arbeitszimmer.
Tatsächlich so schlicht, dass das Zentrum des Raumes nur einen schmucklosen, streng nach den Gesetzen des goldenen Schnittes angeordneten Schreibtisch enthielt. Ergänzt wurde der einsame Arbeitsplatz durch drei Stühle, von denen zwei ausgesprochen unbequem wirkten. Hawthorne vertrat die in Venedig wenig verbreitete Überzeugung, Luxus sei der Konzentration abträglich. Außerdem verkürzte sich auf diese Art die Dauer aller nicht unbedingt notwendigen Gespräche in seinem Arbeitszimmer drastisch. Die einzigen Zugeständnisse an seine eigene Person waren eine makellos saubere Kohlenpfanne, ein schlichtes Regal mit einer Handvoll schnurgerade aufgereihter Bücher, sowie einer Flasche mit drei absolut staubfreien Gläsern. Einziger Schmuck auf der dunklen Wandvertäfelung war dasBildnis eines vermummten Mannes, welches die seltsame Aufschrift »credere volo« trug.
Bartholomew hatte es einem nur mäßig begabten Maler abgekauft. Es zeigte dessen Vorstellung von einem orientalischen Assassinen, Männern, die seit den Kreuzzügen einen geradezu übermenschlichen Nimbus besaßen. Er selbst war einem oder zwei dieser Meuchelmörder begegnet und hielt sie schlicht für hinterhältige Bastarde. Das Bildnis erinnerte ihn nur täglich daran, dass er noch ein oder zwei Rechnungen mit ihnen offen hatte.
Der Capitano selbst stand seinem Büro an Schlichtheit in nichts nach. Er trug auf Hochglanz polierte Stiefel, schwarze Beinkleider und ein weißes Hemd. Sein makelloses, aus feinster dunkelgrauer Wolle geschneidertes Wams war von jener Einfachheit, die darauf hinweist, dass sein Besitzer den Jahresverdienst eines Arbeiters am Leib trägt. Sein akkurater Haarschnitt und der mit militärischer Exaktheit gestutzte Oberlippen- und Kinnbart unterstrichen den Eindruck eines Mannes, der jeden Morgen zu genau derselben Zeit seine Bettstelle innerhalb von Augenblicken in ein Muster geometrischer Akkuratesse verwandeln und gleichzeitig die Morgenpost lesen sowie einen Becher Wein trinken kann, ohne dazu überhaupt aufwachen zu müssen. Was im Übrigen den Tatsachen entsprach.
Hawthorne entstammte einer alten, englischen Offiziersfamilie, die unter Heinrich IV. rasant aufgestiegen war. Ihre Mitglieder bekleideten zahlreiche hohe Regierungsämter oder waren als Diplomaten an verschiedenen europäischen Höfen verteilt. Bartholomew als vierter Sohn war der Heiligen Mutter Kirche überantwortet worden. Er hatte kurz vor der Ordination zum dominikanischen Priester gestanden, als gewisse Vorkommnisse für ein recht abruptes Ende seiner klerikalen Karriere sorgten. In Rom kursierten zahlreiche Gerüchte über das Wesen dieser Vorkommnisse, doch sowohl er als auch der Orden hüllten sich in bemerkenswert hartnäckiges Schweigen. In den folgenden Jahren war er als Sonderbeauftragter des
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